Zeitgenössische Musik

Hier geht`s um die klassischen Stücke,Märsche,Techniken etc.

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Miss Trumpet
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Zeitgenössische Musik

Beitrag von Miss Trumpet »

Hallo,

In einem anderen Thread hat jemand sinngemäß geschrieben, dass bei zeitgenössischer Musik erst die Zeit die Spreu vom Weizen trennen wird. Für mich war das jetzt Anlass, dazu einen Thread zu öffnen um ein paar eigene Erfahrungen zu posten und mal locker in die Runde zu fragen, wie es euch so mit der modernen bzw. zeitgenössischen Musik geht/ergangen ist?

Vorausschicken möchte ich, dass es nicht um Wortmeldung in der Art wie "Das ist alles nur Sch.... auf Papier, kein Mensch braucht sowas" ohne jede Argumentation geht, es darf und soll schon ein bisschen tiefer gehen und die eigene Meinung nachvollziehbar gemacht werden.


Ich habe mich durch Nebenfächer und Seminare immer wieder mit Neuer Musik beschäftigt, dabei sind mir je nach dem um welche Stücke es sich gehandelt hat u. a. folgende Gedanken in den Sinn gekommen:
*) Sind diese ganzen mathematischen Konstruktionen und Vorgaben (z. B. in serieller Musik, Zwölftonmusik) nicht einfach nur Hirnwichserei, mehr oder minder sinnentleert und gehaltlos?
*) Ist es im Sinne eines Werks, wenn es ohne lange Erklärungen im voraus sogar den gebildeten Zuhörer total überfordert und nichtssagend ist? Vor allem wenn dann diese Werkerklärungen in schöner Regelmäßigkeit vorenthalten werden, so als ob es nur mehr um Provokation geht?
*) Man kann über die Definition von Musik, Kunst, Ästhetik, Stille, etc. endlos philosophieren, aber in wie weit steht das überhaupt zur Debatte? Bei aller künstlerischen Freiheit - spielen die Wünsche oder Reaktionen des Publikums auch eine Rolle, oder findet das Bühnengeschehen in einer kommunikativen Einbahnstraße statt?

Ich habe grundsätzlich kein so schlechtes Verhältnis zur zeitgenössischen Musik, siebe aber bewußt aus, was für mich nicht stimmig ist. Ein paar Erfahrungen aus diesem Bereich:
*) Jedes Jahr wird bei einer der Orchesterproduktionen einer Musikuniversität aus den Werken der Kompositionsstudenten eines ausgewählt und zur Aufführung gebracht. Ich habe dabei ein Werk erleben dürfen/müssen mit dem Titel "Zerfall der Europäischen Union" für großes Orchester und Rockband (bestehend aus zwei Schlagzeugen, zwei E-Gitarren und ich glaube einem E-Bass). Bezeichnend für das Werk war der Eindruck, dass der Komponist offensichtlich von seinem Handwerkszeug überhaupt nichts verstand, da im die einfachsten Vorgaben (z.B. Tonumfänge, transponierende Instrumente, Klang- und Dynamikmöglichkeiten) nicht bekannt waren, z.B. sollten die beiden Trompeten durch den Einsatz von Dämpfern möglichst scharf und schrill klingen, zugleich aber im fünffachen forte spielen und zwar über 3 Minuten hinweg durchgehend auf dem h2 und c3 (vielleicht war es auch b2 und cis3). Dass das nicht möglich ist, hat der Komponist nicht verstanden. Es wurde quasi nicht geprobt, weil bei der Probe die Musiker den Saal zu Dutzenden verließen, da die Lautstärke unerträglich war. Um was es eigentlich gehen sollte wurde nicht erklärt, das Stück war in grafischer Notation notiert wo durch Striche an verschiedenen Stellen im Takt angedeutet wurde, wieviele Noten in welchem Abstand in jedem Takt gespielt werden sollten. Zur Generalprobe kam der Professor des Komposition-Studenten, regte sich furchtbar über die Einstellung des Orchesters auf, außerdem kam der Rektor um sich den Spaß anzuhören und darüber zu entscheiden, ob dieses Werk dem Publikum überhaupt zugemutet werden könnte. Er entschied im Sinne des Komponisten, die Orchestermusiker bekamen Oropax für die Generalprobe und die Aufführung, alle nicht beteiligten Musiker verkrochen sich für das Stück in vornüber gebeugter Haltung hinter den Pulten. Bei der Gelegenheit wurde uns noch gesagt, dass es bei dem Werk darum ginge, wie die Menschen (Orchesterinstrumente) gegen die EU (Rockband) ankämpfen und der Koloss schließlich zerbricht. Die Rockband donnerte auf voller Lautstärke Metall-Licks raus, die Orchestermusiker versuchten sich mehr oder minder totzuschreien auf ihren Instrumenten. Der Dirigent pinselte 3 Minute lang brav seinen 4/4 auf Tempo 120 herunter und zeigte durch Handzeichen an , wann jeweils die halben und vollen Minuten um waren sowie den Count-Down für die letzten fünf Sekunden. Das Publikum hielt sich die Ohren zu, einige nahmen die erste Minute noch mit Humor auf, in der zweiten Minute wurden die Mienen schon ernster und einige verließen den Saal, in der dritten Minute war vielen die Verärgerung schon deutlich anzusehen. Danach ging es weiter mit einer Beethoven-Sinfonie.

*) Workshop mit einem angesehenen Ensemble der zeitgenössischen Musik. Da zum Teil Werke geprobt werden sollte, für die die Besetzung nicht da war, hieß es "spielst halt irgend was". Toll, da sieht man, mit welchem Anspruch sogar professionelle Interpreten zeitgenössischer Musik an ihr Handwerk herangehen. Sehr befremdend fand ich auch die Erklärung, dass halt sehr viel komponiert würde, das eben nicht umsetzbar wäre auf den Instrumenten, wo es eben um das Bemühen ginge und um den Versuch, dem Notenbild soweit eben möglich gerecht zu werden. Sehr seltsam, wenn dann vom Publikum erwartet wird, es solle diese Musik ernst nehmen und würdigen, oder?

*) Ich finde Komponisten wie Ligeti, Stockhausen, etc. durchaus interessant und in kleinen Dosen auch anhörbar. Häufig habe ich aber beim Hören der Musik den Eindruck, in der emotionalen und gedanklichen Welt eines geistig gestörten Menschen gelandet zu sein. Das kann natürlich auch seinen Reiz haben und über Begriffe wie "normal", "real", "verrückt", etc. kann man interessante Diskussionen führen. Für mich stellt sich aber die Frage, warum ich so etwas zu einem Teil meines Lebens machen sollte? Ich höre mir ja auch nicht gewaltverherrlichende, aggressive Death-Metal-Musik an. Es mag sich vielleicht etwas schwülstig anhören, aber sollte Musik bzw. Kunst ganz allgemein nicht etwas erhebendes und erbauliches haben? Klar gehören auch die Schattenseiten dazu, aber sich in der Gosse zu wälzen, in den Niederungen des menschlichen Seins zu suhlen und primitive Provokation und hörbar gemachten Wahnsinn als Kunst von heute zu deklarieren - das ist schon etwas seltsam und seicht, oder?

So, von meiner Seite reicht das ja mal für's erste.

LG, Miss Trumpet
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Steffen
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Beitrag von Steffen »

Hallo Miss Trumpet,

zunächst mal vielen Dank für Deine Beiträge und für Deinen Mut, solche Themen offen anzusprechen. Was Du hier schilderst, kann nur stattfinden in einem abgeschlossenen und geschützten Bereich, einer Art Schein- und Parallelwelt. Entstanden ist diese Welt durch quasi-sozialistische Strukturen: Die Kultur wird zum öffentlichen Gut, und kein Mensch schert sich mehr darum, wem man das eigentlich noch vermitteln oder gar verkaufen soll. Sämtliche Marktmechanismen greifen nicht mehr, gerade weil solche Institutionen staatlich alimentiert werden. Auf der einen Seite kann man es als große Errungenschaft betrachten, wenn der Kulturbetrieb staatlicherseits finanziert wird, aber dann muss man auch in Kauf nehmen, dass dies ausgenutzt wird. Manchmal hat man sogar den Verdacht, es geht nach der Devise je absurder je besser. Da alles sehr geltungsbewußt und bedeutungsschwer daherkommt, wird es oft auch für voll genommen und respektiert. Ich bin mir aber sicher, das solche Dinge auf Dauer keinen Bestand haben werden, da trennt sich die Spreu vom Weizen definitiv, früher oder später...

Viele Grüße,

Steffen
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guenni-trumpet
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Beitrag von guenni-trumpet »

Hallo,
das Thema zeitgenössische Musik treibt mich auch so manches mal herum. Mein Verhältnis zu zeitgenössischer Musik ist sehr ambivalent. Meistens habe ich den Eindruck, dass die Komponistennur noch ihre "Kreativität" ausleben, ohne das "Handwerk" zu berücksichtigen. Und darunter verstehe ich die Grundzüge der Orchestrierung. Es ist zwingend notwendig, wie es auch Miss Trumpet bereits beschrieben hat, dass ein Komponist die Instrumente auch kennt, für die er schreibt. Er muss über die problematischen Tonlagen genauso Bescheid wissen wie über die klanglichen und dynamischen Eigenschaften. Außerdem muss er die Spielbarkeit von Partien einschätzen können. Letzteres war auch in vergangenen Zeiten durchaus ein Problem, so dass Partituren mitunter immer wieder verändert wurden (sehr oft aber auch auf "wohlmeinenden" Rat Dritter hin, die dem Zeitgeschmack unterworfen waren...).
R. Strauss hat auch Dinge komponiert, die passagenweise unspielbar waren (vor allem bei den Holzbläsern), hatte dies aber bewusst getan, um künftigen Generationen mit größeren technischen Fähigkeiten noch genügend Herausforderungen zu bieten. Doch er war ein Meister der Orchestrierung und wusste genau, wie und wo er welche Instrumente einsetzen musste. Und diese Fähigkeit geht so manchem heute ab.

Außerdem wird man oft den Eindruck nicht los, dass moderne Kompositionen nur der Provokation dienen sollen, die Musik tritt in den Hintergrund, der "Skandal" in den Vordergrund.
Musik muss nicht immer leicht hör- und verstehbar sein, auch heute anerkannte Genies früherer Generationen wurden zu ihrer Zeit verkannt (Bruckner, Mahler und so manche mehr). Vieles ist im Laufe der Zeit (z. T. zu Recht) vergessen, vieles ist unsterblich.
Leider stellt man bei zeitgenössischen Kompositionen immer wieder fest, dass sie nach der Uraufführung nicht wieder aufgeführt werden. Dabei spielt sicherlich eine Rolle, dass das Publikum sehr oft einfach überfordert ist und das Gehörte weder einordnen noch verstehen können. Dieser pädagogische Aspekt wird auch oft arroganterweise ignoriert.
guenni-trumpet
peaceman
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Beitrag von peaceman »

Moin zusammen,

Danke Ms. Trumpet ! Super Anstoß und ich freue mich sehr, daß Leute sich bereit erklären zu diesem Thema zu diskutieren :-)
Durch verschiedene Beiträge habe ich mich schon als Befürworter Neuer Musik geoutet, glaube ich...

Zu allererst möchte ich das "Todschlag"-Argument von Steffen beackern:
wenn man den Gedanken konsequent verfolgt, besteht die Musik demnächst nur noch aus Shakira und DSDS. Denn wenn wir die Musik "verkaufen", löst sich die abendländische Musiktradition in spätestens 3 Generationen ins Nichts auf. Wenn Du jemandem, der bisher noch keinen Kontakt mit "klassischer" Musik hatte, Mozart vorspielst oder Bruckner, dann wird er genau das sagen, was Du vermutlich beim Hören zeitgenössicher Musik sagst: Was für ein Sch***. Geben wir jetzt dem Markt nach und unseren Bildungsanspruch auf, wird sich das auf lange Sicht dabei herauskommen.

Ich finde es wichtig, einerseits das kameralistische Prinzip zu überdenken, andererseits aber auch nicht den Anspruch, Neues zu unterstützen, aufzugeben. Und heute schon tun das ja die Opernhäuser und Orchester, in dem sie unendlich viele "Zauberflöten" und "9. Beethovens" spielen - genau das, was ein Großteil des Publikums hören will. Dabei aber auch Neue Werke den Leuten "unterzuschmuggeln" finde ich absolut gut und nötig. Nur so können die Leute an Neues hernageführt und die Köpfe dafür geöffnet werden.

Und wo soll auch die Musik sonst herkommen ? Entwickeln wir uns nicht weiter, wird die Musik bei Brahms, Bruckner und Filmmusik stehen bleiben !
Sind diese ganzen mathematischen Konstruktionen und Vorgaben (z. B. in serieller Musik, Zwölftonmusik) nicht einfach nur Hirnwichserei, mehr oder minder sinnentleert und gehaltlos?

Es erfordert einfach eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Musik. In der Malerei ist es leichter - Künstler wie Picasso, Klee, Kandinsky u.ä. sind absolut akzeptiert und Kandinsky's kann man bei IKEA kaufen. Die Musik aus der Epoche aber führt eher noch ein Schattendasein. Ich meine, es liegt daran, dass bisher noch zuviele Menschen Musik nur über Emotio rezepieren wollen und die Ratio dabei ausschalten. Aber wie man bei einem Bild die klare Formgebung bewundern kann und das mathematische Konstrukt, so kann man das auch bei Musik - finde ich. Für mich hat die Klang gewordene Struktur eines Webern-Streichquartetts eine unglaubliche Klarheit und Schönheit, die Schönheit auf einer ganz anderen Ebene darstellt.

Ms. Trumpet, kennst Du Woyzeck von Alban Berg ? Das ist Zwölftonmusik, aber würdest Du es als Hinwichserei bezeichnen ? Und kennst Du Berg's Violinkonzert ?
Kennst Du Zimmermanns Trompetenkonzert ? Sinnentleert ????
Ich unterstelle mal, dass wir mit solchen Allgemeinplätzen nicht weiter kommen.
Unbestritten, dass viel Müll entsteht. Und auch unbestritten, dass dieser Müll dann auch noch staatlich subventioniert und gespielt wird. Aber dann landet es auch zurecht in der Schublade und wird vergessen.
Aber die wirklich wichtigen Stücke müssen als unser Kulturgut erhalten und weiter gespielt werden. Letzen Endes ist Kunst ja immer ein Abbild der sie umgebenden und sie hervorbringenden Gesellschaft. Und es bleibt ja auch von uns nichts mehr übrig, als die Werke der Kunst, Musik, Architektur, Literatur...
sollte Musik bzw. Kunst ganz allgemein nicht etwas erhebendes und erbauliches haben?
Also Musik zum Wohlfühlen ? Klassik Zum Kuscheln ? Warum wird das immer von der Musik gefordert, nicht aber von anderen Künsten ???
Niemand liest Böll oder Borchert zum Wohlfühlen, Handke zur Erbauung, Joyce zum Kuscheln !

Wenn sich Stockhausen oder Ligeti für Dich nach "geistesgestört" anhört, dann wertest Du die Musik sofort und schiebst sie in eine Schublade. Als Trompeterin wirst Du um Neue Musik nicht drumherum kommen. Und es gibt so viele schöne und spannende Werke, die mittlerweile wirklich zum "Kanon" der Literatur gehören. Das wäre doch schade, die alle zu verpassen, oder ?

Ich gebe zu, dass ich das andere Extrem vertrete. Mein Schlüsselerlebnis war Woyzeck, den ich nachts im Fernsehen gesehen habe, als ich nicht schlafen konnte. Das Strück hat mich so tief berührt, dass ich am nächsten Tag sofort in die Stadtbibliothek gerannt bin und mir alles ausgeliehen habe, was sie über Neue Musik hatten. Das war allerdings bis dato nur ein Buch über Karlheinz Stockhausen und eine Partitur von Woyzeck... genug aber um mich "anzufixen" :-)
Zu allem was ich gehört habe, habe ich viel gelesen um zu verstehen, was die Komponisten wollten, in welcher Gedanken-Welt sie lebten.
Nur so kann man Stücke wie z.B. Cage's 4'33 verstehen. Ohne das Bemühen darum ist das wahrscheinlich schwierig.
Aber genau das tun wir ja auch, wenn z.B. in der Schule oder in den mittlerweile wieder populären Literaturkreisen über neue Stücke und Bücher gesprochen und diskutiert wird. Ich fand z.B. den "Faust" sch***, als ich ihn gelesen habe. Nach 100 Seiten habe ich aufgegeben. Dann haben wir ihn im Deutsch-Kurs gelesen und auf einmal habe ich mehr verstanden und nachdem wir ihn 3 Monate durchgekaut hatten, fand ich ihn spannend. Es braucht einfach ernsthafte Auseinandersetzung.
sich in der Gosse zu wälzen, in den Niederungen des menschlichen Seins zu suhlen und primitive Provokation und hörbar gemachten Wahnsinn als Kunst von heute zu deklarieren - das ist schon etwas seltsam und seicht, oder?
Und das zeugt nicht gerade von ernsthafter Auseinandersetzung mit dem Thema ;-)
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Miss Trumpet
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Beitrag von Miss Trumpet »

Steffen hat geschrieben:Die Kultur wird zum öffentlichen Gut, und kein Mensch schert sich mehr darum, wem man das eigentlich noch vermitteln oder gar verkaufen soll. Sämtliche Marktmechanismen greifen nicht mehr, gerade weil solche Institutionen staatlich alimentiert werden. Auf der einen Seite kann man es als große Errungenschaft betrachten, wenn der Kulturbetrieb staatlicherseits finanziert wird [...]
Das mit den Marktmechanismen ist bei Kunst und Kultur ein sehr zwiespältige Angelegenheit: Der Markt richtet sich in erster Linie nach der breiten Masse und schafft für diese Konsumgüter, die dann entsprechend beworben werden. Es gibt in der Kunst und Kultur viele Bereiche - und zu diesen zählt nicht nur die zeitgen. M., sondern auch Alte Musik, Klassik, Jazz (sofern einzelne Stücke aus diesen Bereichen nicht gerade im Segment "easy listening" angesiedelt sind) - die ohne die finanzielle Unterstützung durch den Staat und durch Mäzene zum Verhungern verurteilt wären. Es greift halt leider der Auslese-Mechanismus noch nicht so richtig. Aber vielleicht ist das eine Fehleinschätzung und der Auslese-Mechanismus greift schon die ganze Zeit und wird eben erst in 50 bis 100 Jahren beim Blick zurück in seiner Gesamtheit sichtbar.
guenni-trumpet hat geschrieben: Meistens habe ich den Eindruck, dass die Komponisten nur noch ihre "Kreativität" ausleben, ohne das "Handwerk" zu berücksichtigen. Und darunter verstehe ich die Grundzüge der Orchestrierung. Es ist zwingend notwendig, wie es auch Miss Trumpet bereits beschrieben hat, dass ein Komponist die Instrumente auch kennt, für die er schreibt. Er muss über die problematischen Tonlagen genauso Bescheid wissen wie über die klanglichen und dynamischen Eigenschaften. Außerdem muss er die Spielbarkeit von Partien einschätzen können.
Diese "Komponisten" entlarven sich durch solche handwerkliche Defizite eigentlich selbst, oder? Wenn sie sich der technischen und klanglichen Möglichkeiten nicht bewusst sind, dann haben sie auch keine Vorstellung davon, wie ihre Kompositionen klingen sollen und schreiben nur so auf's gerade Wohl. Also kommt das so vor, wie wenn ein Maler mit verbundenen Augen wahllos nach irgendwelchen Farbtöpfen greift und mit diesen in alle Richtungen um sich schüttet, in der Hoffnung, dass er auch mal wo die Leinwand trifft, um das dann Kunst nennen zu können.

Was ich am Kompositionsstudium ankreide, ist der Umstand, dass an die angehenden Komponisten viel zu geringe (keine?) instrumentalen Anforderungen gestellt werden. Die sollten doch zumindest ein erstes Diplom (Bakkalaureat) auf zumindest einem Instrument haben, und aus jeder Instrumentenfamilie ein Instrument zu einem gewissen, elementaren Grad beherrschen. Einfach nur die Katze über's Klavier laufen zu lassen und einen auf großer Künstler zu machen, ohne als aktiver Musiker Erfahrungen gemacht zu haben - das ist doch ziemlich dürftig?

LG, Miss Trumpet
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Schlaui
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Beitrag von Schlaui »

Interessantes Thema! Ich schätze, die heute gerade noch allgemein akzeptable "Moderne" ist die Zeit des Impressionismus, etwa Debussy, Ravel, Holst, evtl. noch Stravinsky. Diese Musik knüpft an die tradierte Harmonik der Spätromantik an und entwickelt sie sehr kunstfertig weiter. Neue Ideen und Konzepte werden noch integriert, nicht übergestülpt. Obgleich schon recht launisch und mitunter provokativ, bleibt die Musik ihrem Grundsatz nach tonal.

Spätestens mit der 12tonmusik haben sich die Komponisten aber das erklärte Ziel gesetzt, alle Tradition zu über Bord zu werfen - und das Publikum gleich mit. Der totale Bruch mit den tradierten Mitteln konnte vom Publikum nicht nachvollzogen werden. Es war, als habe plötzlich jemand nur noch in einer unbekannten Fremdsprache gesprochen und erwartet, dass das Publikum diese nun lernen müsse. Und heute sprechen die Komponisten nur noch jeder in seiner eigenen Sprache und wundern sich über die Ignoranz des Publikums, das in einer ihm verständlichen Sprache bedient werden will.

Schließlich verstehen selbst die ausführenden Musiker diese Musik nicht. Bei grafischer Notation spielen sie (offenes Geheimnis) einfach irgend etwas, (nur nicht "Alle meine Entchen", das merkt der Alte) und machen ein ernstes Gesicht dazu.

Weil es heute keine allgemein verstandene (Form)sprache in der Musik mehr gibt, ist natülich der Scharlatanerie Tür und Tor geöffnet. Vor einigen Jahren haben zwei Studenten aus Jux ein Werk zu einem Wettbewerb eingesandt, das sie mittels Zufallsgenerator absichtlich vollkommen vermurkst hatten. Ergebnis: 1. Preis. Als die Sache aufflog, rechtfertigte sich die Jury mit der Aussage, der Weg sei egal, nur das Ergebnis zähle.
Ich würde gern den Professoren der Jury einen Haufen Bauschutt zur Verfügung stellen. Mögen sie beweisen, dass es sich nicht um eine akzeptable Dienstwohnung handelt! Der mit (meinen! grrr!) Steuergeldern wohlfinanzierte Kunstbetrieb treibt offensichtlich ein parasitäres Dasein, das zu Unrecht ignoriert wird. Es gehört an den Pranger.

Es gibt natürlich auch Zeitgenossen, die hörbare Musik schreiben (nein, ich meine nicht Ralf Siegel und Dieter Bohlen!) Vom Publikum wird Polytonalität und Klangmalerei durchaus akzeptiert, wenn sie nachvollziehbar bleibt und nicht zum Selbstzweck wird. Filmmusik verwendet viele solcher Stilmittel, bedient aber gleichzeitig ausgiebig weichgespülte Klischees - darüber kann man geteilter Meinung sein - trotzdem ist sie heute der wichtigste Zugang des Massenpublikums zur Klassik. Warum wohl?

Eine ähnliche Entwicklung gab es ja auch im Jazz: Bis zum BeBop gab es eine kontinuierliche Entwicklung, danach wurden die Entwicklungssprünge zu groß für das Publikum. Wenn A. Mangelsdorff eine halbe Stunde lang einen Ton spielt, kann man sich schon fragen, ob das überhaupt Musik ist. Wenn das Publikum das nicht versteht - wer kann es ihm verübeln?

Ich denke, die Entwicklung der Abendländischen Musik wird nicht durch die heutige Moderne bestimmt. Dafür ist sie viel zu weit abgehoben. Das Publikum steckt noch immer in den Ausläufern der Spätromantik, und da muss die Entwicklung sich fortsetzen. Die heutige Moderne wird ein toter Ast der Entwicklung sein.
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Beitrag von peaceman »

Meistens habe ich den Eindruck, dass die Komponisten nur noch ihre "Kreativität" ausleben, ohne das "Handwerk" zu berücksichtigen.
Nenn doch mal ein paar konkrete Beispiele.
Was ich am Kompositionsstudium ankreide, ist der Umstand, dass an die angehenden Komponisten viel zu geringe (keine?) instrumentalen Anforderungen gestellt werden.
Kennst Du noch andere K-Studenten, als die aus Graz ? Vielleicht liegts am Prof ? Ich habe mit sehr vielen jungen Komponisten zusammengearbeitet. Dabei sind auch eine Reihe von Stücken für mich oder Ensembles in denen ich mitgespielt habe, entstanden. Die waren durchweg handwerklich tiptop. Bei Fragen haben die Komponisten Rücksprache mit mir gehalten. Die meisten kannten sogar das Trompetenrepertoire und haben sich angeguckt, wie Trompete bei anderen Komponisten eingesetzt wird.

Nach der Kenntnis einiger wahrscheinlich wirklich stümperhafter Komponisten, die ganze Neue Musik über einen Kamm scheren zu wollen, finde ich nicht so glücklich.
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Beitrag von peaceman »

@Schlaui
Aber definiert denn die Masse, was Musik ist ? Legitimiert denn erst Akzeptanz Kunst ? In so einer Gesellschaft möchte ich nicht leben ! Das wäre entsetzlich öde und trist.

Für mich selbst bestimme ich, was Musik ist. In der einen Sekunde kann ich den Strassenverkehr als Lärm hören, in der anderen als spannende Klanglandschaft. Ich meine, der Fokus und die Wahrnehmung machen die Kunst aus. Ich kann Alltagsgegenstände in einen Rahmen stecken und als Kunst sehen. Und das finde ich z.T. spannender als die wirklich "gemalten" Bilder. Die Welt ist voller Kunst, Augen auf !!! :-) Ok, ich bin emotional vorbelastet. Bitte nicht übelnehmen, oder mich als Spinner abschreiben :lol:
Der mit (meinen! grrr!) Steuergeldern wohlfinanzierte Kunstbetrieb treibt offensichtlich ein parasitäres Dasein, das zu Unrecht ignoriert wird. Es gehört an den Pranger
Mit sowas muss man vorsichtig sein, denke ich. Kunst, die vermeintlich keiner versteht, als parasitär anzuprangern - das hat in der Geschichte ganz schlechte Tradition.

Jede Gesellschaft braucht Vordenker und Gegen-den-Strom-Schwimmer, sonst ist sie tot.
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Schlaui
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Beitrag von Schlaui »

@Friedemann Boltes:
Kunst, die vermeintlich keiner versteht, als parasitär anzuprangern - das hat in der Geschichte ganz schlechte Tradition.
Das habe ich wohl schlecht formuliert. Ich will hier gar keine keine staatliche Lenkung - weder Förderung noch Unterdrückung. Die staatliche Förderung darf nur nicht zum Ruhebett für einen elitären Zirkel spinnerter Faulenzer werden, dessen Output nur noch diesen Zirkel selbst interessiert! Kunst darf sich doch nicht nur im Elfenbeinturm abspielen, sie muss in der Gesellschaft verankert sein! Natürlich darf und muss sie Leuchtturm sein und Neues einbringen, was sich dann nach und nach auch im Massengeschmack wiederfindet. Das hast du ja mit dem IKEA-Picasso sehr schön dargestellt. Aber die Kunst kann nicht in einem leeren Raum existieren und den Massengeschmack ignorieren. Sie muss ihn entwickeln.

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Beitrag von peaceman »

@Schlaui:
Aber die Kunst kann nicht in einem leeren Raum existieren und den Massengeschmack ignorieren. Sie muss ihn entwickeln.
Vollste Zustimmung ! Und ebenso in der Tatsache, dass es viel zuviele Leute gibt, die verkopfte Stücke nur um der ach so komplexen Struktur wegen schreiben. Und dieser Elitendünkel schreckt natürlich neugierige Leute ab.

Vielleicht könnte man für neugierige Trompetenforums-User oder allgemein Trompeter/Musiker eine kleine Liste hörenswerter Stücke aufstellen.
Henze hat mal eine Initiative gestartet: Neue Musik an die Schulen, oder so ähnlich. Auch wenn ich seine Musik eiegentlich nicht so mag, die Idee war klasse. So bringt man jungen Menschen schon früh Neugier bei...
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Beitrag von duden »

[quote="Schlaui]Aber die Kunst kann nicht in einem leeren Raum existieren und den Massengeschmack ignorieren. Sie muss ihn entwickeln.

[/quote]

Das halte ich für einigermaßen naiv. Hochkunst war nie populär, sondern ist auf gewisse Weise stets elitär. Ich hatte einige Jahre lang Gelegenheit, mich viel mit zeitgenössischer Musik zu beschäftigen (als Hörer, weniger als Musiker). Dabei habe ich festgestellt, dass sich mit der Zeit durchaus Kriterien entwickeln, um die Künstler von den Scharlatanen zu unterscheiden - auch, wenn man über den kompositorischen Hintergrund eines Stückes nichts weiß, "prima-vista-Hören" sozusagen. Noch besser ist es natürlich, wenn es Gelegenheit gibt, sich mit dem Komponisten, seiner Technik, seiner Ästhetik zu beschäftigen. Ich denke z.B., John Cage lässt sich erst richtig verstehen, wenn man "Silence" gelesen hat. Und kann man nicht gerade von Musikern verlangen, dass sie sich für ihr Sujet interessieren, dass sie, um es zu durchdringen, auch Anstrengung auf sich nehmen? Insofern gehe ich eindeutig mit Friedemann kondom. Oder, um mit Karl Valentin zu sprechen: Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.
I didn't try to be primitive, I just had bad microphones.
Steffen
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Beitrag von Steffen »

Um das mal klar zu stellen: Ich habe nichts gegen neue und moderne Musik und bin durchaus offen und zugänglich für solche Dinge, so lange es gut gemacht ist. Und es gibt da sehr viel großartiges zu entdecken. Bin z.B. vor kurzem auf Steve Reich aufmerksam geworden, der ist ein gutes Beispiel für einen Komponisten, der die Musik voranbringt, ohne gleich sämtliche Wurzeln abzuschlagen. Diese Musik ist ehrlich, klar und verleugnet nicht ihre Herkunft. Um es kurz zu machen: Dieser Komponist hat wirklich was zu sagen, und da höre ich gerne zu.

Was mich ein wenig stört, ist die Einstellung, dass moderne Musik und Kunst etwas zu sein hat, das nicht für die Masse ist. Offensichtlich denkt man hier, die breite Masse der Menschen bestünde aus ungebildeten Menschen, die für anspruchsvolle Musik und Kunst ohnehin schon verloren sind. Für diese Leute gibt es dann die sogenannte Popularmusik, die ja offensichtlich schon deshalb was Schlechtes sein muss, weil sie beliebt ist und sich gut verkauft. Auf der anderen Seite haben wir dann die sogenannte Hochkultur, gemacht für ein elitäres Bildungsbürgertum, das dann auch noch den Anspruch erhebt, der Staat müsste diesen monströsen Kulturbetrieb nur zu ihrer Erbauung unterhalten, weil ohne diesen der Untergang des Abendlandes unmittelbar bevorstünde.

Ich halte es auch für einen Trugschluss, dass der freie Markt die Nachfrage nach anspruchsvoller Musik und hochwertiger Kultur nicht befriedigen könnte. So lange es Menschen gibt, die diese Bedürfnisse haben und bereit sind, Geld dafür aufzuwenden, wird dieser kulturelle Bereich fortbestehen. Ganz im Gegenteil glaube ich sogar, dass der Markt gerade dafür sorgen könnte, dass es in diesem Bereich vorangeht und dass moderne Kunst und Musik weitere Verbreitung finden!!!

Viele Grüße,

Steffen
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guenni-trumpet
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Beitrag von guenni-trumpet »

Friedemann Boltes hat geschrieben:
Meistens habe ich den Eindruck, dass die Komponisten nur noch ihre "Kreativität" ausleben, ohne das "Handwerk" zu berücksichtigen.
Nenn doch mal ein paar konkrete Beispiele.
Ertappt!!! :oops:
Leider lässt mich mein Erinnerungsvermögen im Stich, so dass ich weder Titel noch Komponisten nennen kann. Ich kann mich aber noch an einige Situationen erinnern, bei denen ich bei meinem damaligen Lehrer (Trompeter in einem der Sinfonierochester in München) die Gelegenheit hatte, ein paar Uraufführungsnoten für die "Musica Viva"-Reihe in München zu sehen. Dort waren öfters so Noten geschrieben, wie sie Miss Trumpet bereits geschildert hat. Teilweise unspielbar!!!!!
Ich kann mich noch sehr gut an eine Notenseite eines anderen Werkes erinnern, in der zeilenlang die Trompeten nur den Wechsel e'''-fís''' zu spielen hatten. Eine andere Passage zeigte "stundenlang" auszuhaltende Töne in extremen Lagen.
Ich weiß noch, dass einer der Komponisten nach Orchesterprotesten seine Partituren umgearbeitet hatte. Ein anderer hat dies abgelehnt.
Diese Beispiele zeigen, dass die Komponisten Schwierigkeiten haben, die Machbarkeit ihrer Einfälle einzuschätzen.

Übrigens gibt es gerade bei R. Strauss Passagen in den Holzbläsern (z.B. in seinen Opern wie Elektra und Salome), wo auch heutzutage die Musiker nicht in der Lage sind, sie so zu spielen, wie es dasteht. Da gilt heute noch wie damals: "Hauptsache der 1. und der letzte Ton stimmen, was dazwischen ist, ist wurscht, es hört eh keiner".

Ich bin aber weit davon entfernt, alle Komponisten der Moderne über einen Kamm zu scheren. Die Musik der Romantik hatte ihren Zenit erreicht, eine Weiterentwicklung der Musik konnte nur geschehen, indem die Grenzen der Tonalität aufgelöst wurden. Insofern hat die serielle Musik genauso einen großen Stellenwert in der Musikgeschichte wie die Musik eines Brahms, auch wenn ich nicht so den Zugang dazu habe. Meiner Meinung nach ist Musik Ausdruck der Emotionen. In der seriellen Musik stehen die Regeln im Vordergrund.
Bergs "Wozzek" ist aber anders: insofern ein Meisterwerk, weil es hier die serielle Musik schafft, Emotionen der Geschichte zu transportieren, aber auch Emotionen beim Zuhörer zu wecken (nein, nicht: "So ein Sch...").

Moderne Komponisten (eigentlich auch schon "Klassiker"), die ihr Rüstzeug vollkommen beherrschen, gibt es viele. Sie werden zu Recht immer wieder ins Programm genommen: Karl Amadeus Hartmann, Bernd Alois Zimmermann, Gubaidulina oder auch Penderecki u.v.m. Sie zeigen, dass man einem altehrwürdigen Sinfonieorchester interessante und neue Klänge entlocken kann (auch wenn mir bei weitem nicht alles gefällt. Mit Boulez, Ligeti oder Berio z.B. kann ich nichts anfangen).

Auch wenn ich nicht ein ausgesprochener Fan der zeitgenössischen Musik bin, habe ich an unserem momentanen Kulturbetrieb etliches auszusetzen. In erster Linie bin ich von den Programmauswahlen enttäuscht. Jedes Jahr Brahms Nr. 2 und 4 und Beethoven Nr. 5 und 7, und das bei fast allen Orchestern hier in der Stadt. Leider ist es oft das, was das Publikum hören will. Wo ist Shostakovich mit seinen Sinfonien (Gott sei Dank macht M. Janssons immer wieder mal eine), wo Penderecki oder Gubaidulina?
Aber die Diskussion über die Programmwahl führt zu weit. Wäre ein schönes Thema für einen anderen Thread. Vielleicht mache ich einen auf....
guenni-trumpet
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Beitrag von peaceman »

Offensichtlich denkt man hier, die breite Masse der Menschen bestünde aus ungebildeten Menschen, die für anspruchsvolle Musik und Kunst ohnehin schon verloren sind. Für diese Leute gibt es dann die sogenannte Popularmusik, die ja offensichtlich schon deshalb was Schlechtes sein muss, weil sie beliebt ist und sich gut verkauft.
Zumindest soweit es meine Beiträge betrifft, ist das eine Fehlinterpretation . Was ich meine ist:
wenn Kunst allgemein den Gesetzen der Marktwirtschaft unterworfen ist, verliert sie wesentliche Eigenschaften, die sie als Kunst definiert und damit auch ihr Wesen als Kunst. Deshalb muss sie gefördert und unterstützt werden.
Ich arbeite musikalisch viel mit Kindern und versuche ihnen auch einen Blick über den Tellerand zu gewähren. Im Einzelunterricht habe ich auch mit Improvisationen und grafischen Notationen gearbeitet. Das macht die Kinder neugierig und offen. Und so hören sie nachher Musik mit anderen Ohren. Aber das funktioniert nur solange wie z.B. Städte und Kommunen solche Ausbildung bezuschussen und nicht nach dem unmittelbaren Nutzen und Marktwert fragen.

Ich urteile hier nicht in Schlecht und Gut - es geht darum, Vielfalt und Möglichkeit für Weiterentwicklung zu erhalten. Und diese Möglichkeit gibt es eben in der Popularmusik nicht - zumindest nicht in dem Bereich, der von der Mehrheit der Hörer konsumiert wird.
kuhlo
Unverzichtbar
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Registriert: Donnerstag 13. Oktober 2005, 14:17

Beitrag von kuhlo »

Man läuft immer Gefahr mit irgendwelchen Geschichten oder Vergleichen die neue Musik der Lächerlichkeit preiszugeben. Im Gegensatz zu allen anderen Musikstilen gibt es auch nach intensiver Beschäftigung mit dieser Art von Musik Stücke, mit denen man absolut gar nichts anfangen kann. Wer sich intensiv mit Jazz oder klassischer Musik beschäftigt wird auch nicht alles mögen, aber die Ablehnung dieser nicht geliebten Stücke hält sich doch mehr in Grenzen. Selbst Menschen wie Friedemann, die sich intensiv mit diesem Musikstil auseinandersetzen, haben viele Werke, die sie absolut ablehnen.

Musik muß nicht unbedingt kommerziell sein, aber wenn ich mir Musik im Vorfeld immer erklären lassen muß, um überhaupt einen Zugang dazu finden zu können, dann hat sie meines Erachtens ihr Ziel verfehlt.

Bilder entfalten ihre erste Wirkung durch die Betrachtung, Musik sollte meines Erachtens immer zuerst gehört und dann erst im Gehirn verarbeitet werden. Die kognitive Herangehensweise an Musik ist für mich der falsche Weg. Ich will mir ja auch nicht Gerüche vorher erklären lassen, um sie dann eventuell zu mögen.

Friedemann hat so schön geschrieben "Für mich selbst bestimme ich, was Musik ist" und gerade eben diese Selbstbestimmung soll doch hier oft ausgeschaltet werden, nach dem Motto "wenn Du diese Musik nicht magst, muß man sie Dir erklären, wenn Du sie dann nicht verstehst, fehlt Dir der Intellekt".

Gruß Kuhlo
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