Ich probiere es mal…als weitere Diskussionsgrundlage natürlich!Justus. hat geschrieben:Würde mich freuen, wenn du deinen inhaltlichen Standpunkt (mit dem ich zwar nicht übereinstimme, der mich aber trotzdem sehr interessiert) bzw. deine Kritik an meinen Ausführungen im Detail erläutern würdest.
Zur Tonerzeugung öffnen und schließen sich die Lippen. Tatsächlich ist es eine dreidimensionale Bewegung, aber der entscheidende Teil ist, dass die Lippen mal geschlossen sind und mal geht Luft durch. Das Ganze passiert bei einem H1 je nach Stimmung 440 mal pro Sekunde.
Von daher könnte man annehmen, dass sich die Frage nach „offen“ oder „geschlossen“ gar nicht stellt. Es ändert sich ja ohnehin 440 Mal pro Sekunde. Man kann erstens durch entsprechende muskuläre Arbeit den vibrierenden Bereich verkleinern oder größer lassen. Und zweitens handelt es sich um eine Vorstellung:
ValsalvaSandkuchen hat geschrieben:Das Körpergefühl wird durch den Verstand mit einem Sinngehalt ausgefüllt. Deshalb ist es nur sehr eingeschränkt möglich, die eigen Spieltechnik zu beschreiben.
Das Valsalva-Manöver kennt man vom Druckausgleich bei der Flugzeuglandung. Nase zuhalten, dagegen atmen und die Ohren sind wieder frei. Die Natur hat jedoch das Valsalva-Manöver für etwas anderes vorgesehen als Flugzeuglandungen, etwa das Heben schwerer Gewichte, wenn man auf der Toilette etwas loswerden will oder (Frauen…) ein Kind auf die Welt zu bringen. Hier übernimmt die Glottis die Funktion des Zuhaltens der Nase. Das Programm „Valsalva“ wird vom Körper gestartet, wenn man die Bauchmuskulatur anspannt und wenig Luft entweicht. Dann sagt der Körper „aha, Valsalva“ und macht die Glottis zu. Leider passiert das auch beim Trompeten. Die Gefahr ist umso größer, je höher man spielt. Dann geht nämlich immer weniger Luft (-menge) durch die Trompete.
Stellen wir uns das Trompetespielen doch mal als einen Gartenschlauch vor. Dann ist die Atmung der Wasserhahn und die Zunge ist das Zudrücken des offenen Endes, damit das Wasser auch in die hinterste Ecke des Gartens kommt. Und das Valsalva-Manöver ist so, als würde man auf dem Gartenschlauch stehen. Dann kann man den Wasserhahn aufdrehen wie man will oder das offene Ende immer fester zudrücken, der Wasserstrahl geht nicht weit (= es kommt kein hoher Ton).
Wenn Du Lust hast, probiere doch mal folgendes aus: spiele ein A2 und ziehe dann zum D3 hoch. Halte das ein paar Sekunden. Dann nimm einfach die Trompete von den Lippen weg. Hört man dann einen Laut wie „Uggghhh“, dann war die Glottis zu. Nur wenn die Luft geräuschlos weiterfließt („aaaaah“), war alles offen.
Was kann man gegen das Eintreten des Valsalva-Manövers tun? Ganz einfach, je größer die Lippenöffnung, umso mehr Luft geht durch, umso unwahrscheinlicher das Verschließen der Glottis. Beim Aufblasen eines Luftballons schließt die Glottis niemals, denn es geht genug Luft durch.
Das ist natürlich alles nur die Beschreibung einer Vorstellung. Es könnte sein, dass ich sage „ich muss darauf achten, dass meine Lippenöffnung groß genug ist“ und Du „meine Lippenöffnung muss kontrolliert klein sein“ und wir landen beide bei einem vergleichbaren Setup.
Dass man mit dem Gedanken an eine größere Lippenöffnung weiterkommt ist mir allerdings häufiger begegnet als anders herum.
Handyakku
Andy Haderer sieht die Lippenmuskulatur wie den Akku eines Mobiletelefons. Ist der Akku auf 0%, dann war es das für den Tag (oder länger). Das Ziel ist es, mit Hilfe korrekter Atmung das Entleeren des Akkus so weit hinauszuzögern, wie es geht. Also idealerweise bis weit hinter die zweite Zugabe.
Wie funktioniert das? Ist die Lippenöffnung etwas größer, kann ich mehr Luft einsetzen um den gleichen Ton in gleicher Dynamikstufe zu spielen. Es ist weniger Arbeit im Bereich der Muskeln der Lippen notwendig, dafür mehr Arbeit bei der Atmung. Damit verlagert sich also sozusagen die Arbeit von den Lippen zur Atmung. Wir Menschen haben deutlich mehr Atemmuskeln!
Anders herum: Kommt zu wenig Luft an, brauche ich sehr viel Kraft in den Lippen und der Akku leert sich sehr schnell.
Oberarmtrompeter
Kommt zu wenig Luft an und ist die Lippenöffnung nicht groß genug (das tritt immer in Kombination auf), ist wie gesagt die Gefahr groß, dass das Valsalva-Manöver beginnt. Damit kommt noch weniger Luft an und ein Teufelskreis beginnt.
Das Ganze lässt sich mit einer „bewährten Methode“ noch deutlich verschlimmern: Indem man das Mundstück gegen die Lippen presst, lässt sich wieder eine Lippenöffnung erreichen. Man kann mit dem Visualizer gut sehen, wie dann ein „Donut“ im Mundstück entsteht und in der Mitte ein Loch.
Der Preis dafür ist hoch: die Blutversorgung der Lippen wird deutlich verschlechtert und der Akku leert sich jetzt dramatisch schnell. Ein am Anfang mühsam herausgequetschtes G3 kann so leicht das ganze Konzert ruinieren (oder gleich die Karriere).
Optimales Vergrößern der Lippenöffnung
Unter der Voraussetzung, dass genügend Luft bereitsteht, kann man durch ein übertriebenes, mit dem Kiefer ausgeführtes Vibrato ausprobieren, bei welcher „Dosis“ an Luft und welchem (geringeren) Grad an Lippenspannung ein besser resonierender Ton entsteht.
Das lässt sich schnell ausprobieren. Ich würde alles Naturtöne vom tiefen C bis (wenn machbar) zum C3 der Reihe nach in Ruhe durchprobieren und schauen, welches Setup, also Balance zwischen Lippen und Atmung gut funktioniert. Wenn Du vorher und nachher eine Aufnahme, beispielsweise mit dem Handy von irgendetwas machst, was Du sonst spielst, solltest Du eine deutliche Zunahme der Projektion feststellen. Dabei Aufnahmegerät/Handy möglichst weit weglegen. Und das spart auch wieder Energie. Wer besser projiziert, muss weniger laut spielen.
Den Begriff „größtmöglich“ muss man wie gesagt mit Vorsicht interpretieren. Meist reicht in winziges bisschen mehr und das Gesamtsystem „Trompeter“ arbeitet mit weniger Kraftaufwand, der Ton klingt runder, lockerer und die Projektion wird besser. Das Ganze kann sich bei zu viel an Lippenöffnung auch wieder leich ins Gegenteil verkehren. Die Übung oben (von Bobby Shew) hilft auf extrem zeitsparende Weise, diesen „Sweet Spot“ zu finden.
Korrekte Atmung
Die Einatmung können wir das Zwerchfell und die äußeren Zwischenrippenmuskeln verwenden und für die Kompression bei der Ausatmung die Bauchmuskulatur und die inneren Zwischenrippenmuskeln. Der Brustkorb kann sich dabei dreidimensional weiten und zusammenziehen.
Man sollte natürlich nicht bei einem Ton im mittleren Register, der „mf“ gespielt werden soll, bei der Atmung vollen Schub geben. Aber es ist sinnvoll alle Atemmuskeln zu nutzen, nur alle eben weniger. Sonst gewöhnt sich der Körper daran und „vergisst“ alle zu nutzen, wenn es darauf ankommt.
Und jetzt siehe Jim Galakti. Da ist alles richtig: Er beginnt die Atmung mit dem Zwerchfell und dann hebt und weitet sich der Brustkorb. Das meinte ich. Wenn man so ausgeglichen atmet, ist immer genug Luftmenge in Reserve und der Sweet Spot passend zu Lippenöffnung kann gefunden werden.
Anders herum, um eine unzureichende Atmung zu kompensieren, ist man gezwungen eine zu kleine Lippenöffnung zu verwenden.
Check
Wenn mein Setup im optimalen Bereich arbeitet, dann merke ich das wie folgt: die Luftmenge, die ich für ein piano benötige ist nicht sehr viel weniger als für ein forte. Dann weiß ich, dass die Maschine funktioniert. Und ich kann ein sicheres piano spielen, ohne zu wackeln, weil ich weniger Lippenmuskulatur einsetze.
Wer steuert
Der Ton beginnt genau genommen bereit mit der Einatmung. Beginne ich mit dem ersten Ton der Phrase und stelle fest, dass meine Luft nicht da ist, wo sie hingehört, oder unzureichend ist, kann ich die Situation nicht mehr retten. Oder ich setze ab, atme erneut korrekt ein und probiere es noch einmal. Das ist in einem Konzert eher nicht möglich.
Ist im Bereich der Lippenöffnung etwas nicht in Ordnung oder die Zunge in an der falschen Stelle, dann kann ich das noch am Anfang der Phrase korrigieren. Wenn ich das ausreichend geübt habe, geht so eine Selbstreparatur, ohne dass das Publikum etwas merkt. Aber an der Einatmung kann man nichts mehr korrigieren.
Wenn ich mich in einer Konzertsituation auf die Luft konzentriere, dann funktioniert bei mir der Rest automatisch. Der Grund für diese Automatik ist, dass ich genau das durch Üben erreicht habe. Die Luft also „führend“ zu betrachten, macht für mich mit der Argumentation oben Sinn.
Ende
Sorry wegen des langen Texts. Das ist sicher zu viel für einen Forenbeitrag. Ich habe es nicht kürzer ausdrücken können. Ich bin gespannt auf Eure Meinungen dazu. Rückfragen, wenn ich etwas unverständlich ausgedrückt habe, sind genau so willkommen.