Sergei Nakariakov in München

Hier geht`s um die klassischen Stücke,Märsche,Techniken etc.

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soundhighend
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Sergei Nakariakov in München

Beitrag von soundhighend »

Hallo zusammen,
gestern spielte in München im Brunnenhof der Residenz Sergei Nakariakov. Ich war dort und habe für einen Freund eine kurze "Konzertbesprechung" geschrieben, die ich hier im Forum nicht vorenthalten möchte:

Guten Morgen .....,

gestern abend war das Konzert:

Sergei Nakariakov (Flügelhorn)
Bachorchester des Gewandhauses zu Leipzig, Christian Funke (Violine & Leitung).

Gespielt wurde:

Georg Friedrich Händel
Suite Nr. 2 D-Dur aus der "Wassermusik"
Luigi Boccherini
La Ritirada - Aufzug der militärischen Nachwache in Madrid
Wolfgang Amadeus Mozart
Konzert Nr. 4 Es-Dur für Flügelhorn und Orchester KV 495
Johann Wilhelm Hertel
Symphony C-Dur mit acht obligaten Pauken und Orchester
Georg Friedrich Händel
Die "Feuerwerksmusik" Konzert Nr. 26 D-Dur für Blechbläserchor und Orchester HWV 351

Die Auffühung fand im Brunnenhof der Münchner Residenz statt. Also quasi ein Open Air Konzert. Der Brunnenhof ist einer von sechs Innenhöfen in der Residenz, der an allen vier Seiten geschlossen ist. Er misst in der Länge gute 50 Meter, die Breite dürfte dem goldenen Schnitt entsprechen. Die Umbauung ist 3-etagig. Ziemlich in der Mitte des Hofes ist ein Brunnen. Im hinteren Teil des Hofes (vom Eingang bis zum Brunnen) werden Marketender-Waren angeboten. Im vorderen Teil (auf der anderen Seite des Brunnens) ist Zuhörer-Bestuhlung für ca. 1.500 Personen aufgebaut, davor - in etwa 1,5 m Höhe eine ausreichend große, überdachte Bühne. Hinsichtlich der Akustik war ich eher skeptisch, wurde jedoch sehr angenehm überrascht. Eine solch klare Differenzierung der Instrumente, eine solch perfekte Tiefenstaffelung, eine solch überwältigende Transparenz hätte ich niemals erwartet. In noch keinem Konzertsaal hörte ich ein Orchester in dieser Präsenz. Das war schon mal sehr beeindruckend. Es wurde übrigens natural sound geboten, keinerlei Verstärkung - nicht einmal für die Ansage (die dann auch im hinteren Drittel nicht verstanden wurde; zum Glück saßen wir ganz vorne).

Das Orchester incl. des sog. Bläserchores war von der Leistungserbringung her heterogen. Die Jungs und Mädels mit den Saiten über den Holzhohlköpern (ca. 10 Geigen incl. 2 Bratschen, 2 Celli, 1 Kontrabaß) verrichteten nach meinem Empfinden gute bis sehr gute Arbeit. Die Holzblasabteilung (1 Oboe, 1 Klarinette, 1 Fagott und ein Kontrafagott) klangen für mich hervorragend - jedenfalls in "Solopassagen" klangen die Melodielinien der Holzbläser nicht nur richtig und schön, sie brachten einen sicherlich beabsichtigen musikalischen Ausdruck mit, den ich ansonsten vermisste (daher der oben gewählte Terminus "Arbeit"). Die Lady am Cembalo mühte sich redlich - hatte jedoch mit ihrem Instrument reichlich Mühe lautstärkemäßig wahrgenommen zu werden. Um so bedauerlicher, wenn dann unmißverständlich hörbare Töne von ihr solche waren, die zur falschen Zeit während der Stücke gespielt wurden. Die Blechbläser waren - insbesondere für mich persönlich natürlich bedauerlich - als das Schlußlicht des Ensembles zu bezeichnen. Die drei Herren an den "Glücksspiralen" machten ihren Instrumenten alle Ehre. Hin und wieder mal ein falscher Ton. O.K. Wenn das dann größere Intervalle sind hört's ja auch nicht gleich jeder. Aber einen Halbton daneben, das auch noch im "ff" und das nicht nur einmal pro Stück - das erzeugt beim Zuhörer dann schon Gänsehaut. Die Herren am kleinen Blech fielen schon mal interpretatorisch aus dem Rahmen. Gerade bei barocker Literatur, in der die Themen durch die Ensemble-Abteilungen "durchgereicht" werden fällt dann natürlich auf, wenn die Streicher und die Holzbläser eine Passage mit einem bestimmten Ausdruck interpretieren und die Trompeter es dann anschließend einfach lieblos hinschloddern. Keine saubere Intonation, kein klarer Anstoß - einfach in Gedanken einen Bogen über die Passage gemalt und es dann genau so abgeliefert. Insbesondere bei der "Feuerwerksmusik" - die nun sicherlich keine Erholung für die beiden Jungs an den Piccolos sind - hörte man überdeutlich die Grenzen des 1. Trompeters. Nicht daß er die Töne nicht gespielt hätte, aber wie er die hohen Passagen hingeschmiert hat, war teilweise schon themenverfremdend. Schade. Bitte nehme diese Kritik jetzt nicht wörtlich. Ich habe - um die wahrnembare Heterogenität zu verdeutlichen - eine sehr stark auflösende "Lupe" zur Betrachtung der Musik hergenommen. Lehnte man sich hingegen zurück und konzentrierte sich nicht auf Einzelereignisse, sondern den Gesamtklang (was man ja eigentlich tun sollte), war es eine wirklich schöne Aufführung bei der Dynamik und Zusammenspiel durchaus passten. Aber eben steigerungsfähig.

Zwei Highlights gibt es zu berichten:
Zum einen die Hertel-Symphonie mit acht Pauken. Habe selbst noch nie ein Orchester mit mehr als 3 Pauken gehört. Das Perkussions-Ensemble wurde denn auch vom "Solopauker" des Leipziger Gewandhaus-Orchesters bedient (was es nicht alles gibt). Ich möchte das Stück durchaus als Solostück für Pauke bezeichnen und der Protagonist kam dem auch sehr gewandt nach. Selbst eine kleine Kadenz durfte er einbringen. Mit acht Pauken war es ihm dabei problemlos möglich, nicht nur das Leitmotiv der Symphonie zu rezitieren, sondern sein Spiel durchaus meldiös auszugestalten. Für mich eine neue und schöne Erfahrung. Ich schätze mal, all zu viele Stücke dieser Art (für Pauke) wird es nicht gerade geben. Bin jedenfalls froh, dies einmal gehört zu haben.
Das zweite Highlight war natürlich Mozarts Es-Dur Konzert Nr. 4 mit dem Flügelhornsolisten. Das ging wirklich unter die Haut. Das berührte nicht nur das Ohr und das Hirn, sein Spiel berührte mich tief drin. Ein Jungchen von knapp 70 kg, der hochkonzentriert, völlig ruhig und unscheinbar auf der Bühne steht und dem Instrument zu Klängen verhilft, die mit "schön" nicht ausreichend zu bezeichnen sind. Die Töne kommen aus dem buchstäblichen Nichts und verschwinden auch wieder dorthin. Die Läufe perlen wie ein warmer Regen. Ob er sich anstrengt oder nicht, ist nicht erkennbar. Sein Spiel ist von solcher Selbstverständlichkeit, daß selbst ich dabei nicht darüber nachdachte, wie er das wohl macht. Ist auch völlig egal, das Ergebnis nimmt einen jedenfalls gefangen, zieht einen völlig in den Bann. Wenn man sein gestriges Spiel mit den Aufnahmen von vor 3 - 4 Jahren vergleicht, erkennt man eine exorbitante Weiterentwicklung. Auf den Aufnahmen demonstriert er überwältigende Technik. Jetzt, heute, paart er diese mit einem musikalischen Ausdruck, der einfach beeindruckend ist. Als Zugabe (vor der Pause) lieferte er auf der Trompete noch ein technisches Kabinettstückchen ab. Der all zu oft strapazierte Karneval von Venedig. Alleine, ohne jede Begleitung. Hammermäßig - Intervallsprünge über 2 1/2 Oktaven im Sechzehntel-Tempo, das haut einem förmich die Sicherung raus. In meinen Augen, wird oder ist dies der legitime Nachfolger eines Maurice André, mit Potential noch besser zu werden (wie auch immer das gehen mag). Solltest Du Gelegenheit haben Sergei N. irgenwo spielen zu hören, lasse es Dir nicht entgehen!

Schade war, daß Sergei Nakariakov "nur" in einem Stück (den Karneval unterschlage ich jetzt mal) zu hören war. Die Lust auf mehr ist nach solch einer Darbietung übernatürlich groß. Trotzdem werde ich das Konzert in sehr, sehr guter Erinnerung behalten (das können mir auch die Hörner und Möchte-Gern-Clarin-Spieler nicht nehmen).

Liebe Grüße
Fredi
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