Jazztheorie

Hier geht es um Improvisieren , Stilistik , halt alles was mit Jazz bzw. Moderner Musik zu tun hat

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Bixel
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Re: Jazztheorie

Beitrag von Bixel »

adastra hat geschrieben:So wie ich mich kenne werde ich Jazz aber in gewissen Umfang begreifen wollen.
Ich wollte eigentlich nur darauf hinaus, dass man (zunächst) relativ wenig wissen muss, aber recht viel Raum und Zeit für die sinnliche Erfahrung benötigt.

Um sich den Blues "gefügig" zu machen, genügt es m.E. anfänglich, sich die der Tonalität zugehörige Moll-Pentatonik auf dem Horn einzuprägen und dann ausgiebig damit zu hantieren (z.B. zu Play-alongs), wobei ganz grundsätzlich weniger die Wahl der Töne das Jazzidiom ausmacht, sondern vielmehr deren rhythmische Gestaltung ("It don't mean a thing, if it ain't got that swing").

Darüber hinaus ist das intensive Hören (das genießende, nicht das analysierende) der Meister m.E. sehr wesentlich für die eigene Entwicklung.

8)
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Re: Jazztheorie

Beitrag von mariusauer »

danke für die zahlreichen beiträge
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Re: Jazztheorie

Beitrag von adastra »

("It don't mean a thing, if it ain't got that swing").
Bingo, darin liegt eine der Hürden, die es zu überwinden gilt. Die Noten selbst sind noch kein Jazz. Sofern man sie gemäß klassicher Ausbildung spielt, hört sich das dann wohl eher schrecklich an. Swing, Gefühl, Ausdruck hineinzulegen ist die eigentliche Kunst, wobei man dann auch schnell merkt, wo die trompeterischen Defizite und Grenzen liegen was Intonation, Ausdrucksfähigkeit und Rhythmusgefühl betreffen. Daher habe ich mich an Jazz auch noch nicht aktiv herangetraut. Passiv habe ich az.B. alle Scheiben von Miles Davis inhaliert und auch viele andere Stilrichtungen. Ich wüßte insoweit also ungefähr wie es werden sollte, aber selber machen... :roll:
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Re: Jazztheorie

Beitrag von Bixel »

adastra hat geschrieben:Die Noten selbst sind noch kein Jazz. Sofern man sie gemäß klassicher Ausbildung spielt, hört sich das dann wohl eher schrecklich an. Swing, Gefühl, Ausdruck hineinzulegen ist die eigentliche Kunst, wobei man dann auch schnell merkt, wo die trompeterischen Defizite und Grenzen liegen was Intonation, Ausdrucksfähigkeit und Rhythmusgefühl betreffen. Daher habe ich mich an Jazz auch noch nicht aktiv herangetraut. Passiv habe ich az.B. alle Scheiben von Miles Davis inhaliert und auch viele andere Stilrichtungen. Ich wüßte insoweit also ungefähr wie es werden sollte, aber selber machen...
Das ist m.E. in allererster Linie eine Sache der "mentalen Positionierung".

Ich habe regelmäßig die Aufgabe zu bewältigen, "klassisch" geprägte Trompeter und -innen an eine jazzmäßige Musizierhaltung heran zu führen.

Die besten Erfahrungen mache ich (und machen sie), wenn sie sich vorüber gehend - soweit möglich - von Allem "verabschieden", was sie bislang mit dem Trompetenspiel verbanden - heißt:
- Berührungsängste, (allzu großen) Respekt und Furcht vor der Blamage ausblenden
- nicht "in Tönen", sondern "in Geräuschen" fühlen/denken
- Tonmaterial (z.B. Pentatonik) und dessen Klang und Haptik auswendig verfügbar machen
- Notenblätter weglegen, Augen möglichst schließen
- mit leerem Kopf, aber wachem Ohr zu Originalaufnahmen oder Play-alongs spielen und eine Stimmung zu erzeugen versuchen, wie man sie bei Jazzgrößen seiner Wahl (hoffentlich) empfunden hat

Das beschriebene atmosphärische Setup bietet m.E. die besten Aussichten, für einen Moment alles das zu verlernen, was ernsthafte Jazzmusiker entweder nie gelernt haben oder erst mühsam wieder verlernen mussten, bevor sie sich im Jazz-Idiom halbwegs sicher bewegen konnten.

Jazz ist keine "technische Disziplin" des Trompetenspiels, sondern ist (und erfordert) eine spezielle Musizierhaltung.

:lehrer:
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Re: Jazztheorie

Beitrag von adastra »

Das ist ja dann super! Da ich fast nichts (Theoretisches) über Musik weiß, muß ich auch nichts vergessen und es steht einem Erfolg dann ja nichts im Wege.
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Re: Jazztheorie

Beitrag von Bixel »

adastra hat geschrieben:Da ich fast nichts (Theoretisches) über Musik weiß, muß ich auch nichts vergessen und es steht einem Erfolg dann ja nichts im Wege.
Die (Jazz-)Theorie ist das Eine (zu Vergessende).
Die ist bei "Klassikern" aber ohnehin meist lückenhaft.

Das andere wichtige zu Vergessende ist die gewohnte Beziehung zum Instrument, hier insbesondere die Handhabung der Zunge ("eindimensionaler Zungenstoß"), und das (in der Klassik vergleichsweise eng gefasste) Klang-Ideal.

:o
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Re: Jazztheorie

Beitrag von adastra »

Das finde ich auch, es kommt einem eigentlich fast so vor, als hätte man das Trompetenspielen falsch beigebracht bekommen. Oder anders formuliert: Als ich zum ersten mal Noten eines Jazz-Stücks gesehen habe, dachte ich spontan: "Häää, und wieso ist das jetzt Jazz? Das swingt ja gar nicht, wenn man das so spielt wie es da steht".

Daher stimme ich mit Dir überein, dass man überhaupt erst einmal lernen muß, einen Ton jazztypisch klingen zu lassen, den Rhythmus zum Schwingen zu bringen, diese Lässigkeit reinzubringen. Die musikalische Theorie alleine nützt da wenig. Später allerdings wäre es dann aber natürlich "einfacher", wenn man die Musik intuitiv hervorbringen kann ansatt sie "nur über den Umweg des Kopfes" explizit durchdacht spielen zu können.

Ich glaube, dass ich zur zweiten Kategorie gehöre. Aber mit Fleiß ist vielleicht wenigstens ein Blumentopf zu gewinnen.
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Re: Jazztheorie

Beitrag von Bixel »

adastra hat geschrieben:...es kommt einem eigentlich fast so vor, als hätte man das Trompetenspielen falsch beigebracht bekommen. Oder anders formuliert: Als ich zum ersten mal Noten eines Jazz-Stücks gesehen habe, dachte ich spontan: "Häää, und wieso ist das jetzt Jazz? Das swingt ja gar nicht, wenn man das so spielt wie es da steht".
Die jazzmäßige Realisation von Noten ist lediglich eine Frage des (erlernbaren) speziellen Umganges mit der Notenschrift im Jazz, nicht aber eigentlich eine Frage des Erlernens des Trompetenspiels.

Wenn du das Gefühl hast, das Trompetenspielen "falsch beigebracht" bekommen zu haben, so kannst du dies m.E. nur im Hinblick auf das ins Auge gefasste Ziel behaupten wollen:
Für das Ziel "Blasmusik und/oder Klassik" war deine Ausbildung möglicherweise ganz okay.
Für das Ziel "Jazz samt Improvisation" war sie vielleicht ungünstig (bis "falsch").

In der Klassik strebt man den "geraden Ton" an, im Jazz dagegen versucht man, dem (natürlichen) Klang der menschlichen Stimme nahe zu kommen.
Das ist recht schwierig miteinander zu vereinbaren, und nur ganz Wenige beherrschen Beides wirklich gut (Marsalis, Vizzutti etc.).
adastra hat geschrieben:Die musikalische Theorie alleine nützt da wenig. Später allerdings wäre es dann aber natürlich "einfacher", wenn man die Musik intuitiv hervorbringen kann anstatt sie "nur über den Umweg des Kopfes" explizit durchdacht spielen zu können.
Ich glaube, dass ich zur zweiten Kategorie gehöre. Aber mit Fleiß ist vielleicht wenigstens ein Blumentopf zu gewinnen.
Die (gefühlte) Zugehörigkeit zur einen oder anderen "Kategorie" ist sicherlich nicht genetisch bestimmt, sondern wird von der persönlichen Sozialisation "entschieden".
Mit den richtigen (neuen) Ideen im Kopf kann man m.E. aber in jedem Alter allerhand bewegen.

Damit es nach Jazz klingen kann, ist es m.E. unverzichtbar, mit seinem Instrument "singen" zu können, also ohne den Umweg(!) über Noten innerlich Gehörtes direkt auf das Instrument übertragen zu können.

Dies übt sich m.E. am besten, indem man stundenlang zu spielen versucht, "was einem gerade in den Kopf kommt".
Das können anfänglich Kinderlieder sein, aber auch z.B. Binde- und Stoßübungen in der Art, wie mancher sie täglich aus seinem Arban oder Stegmann (fremdbestimmt) abliest, ohne dabei einen besonderen persönlichen Bezug zum Gespielten zu haben.

Der persönliche Bezug macht aber gerade den Unterschied.

Wenn man mit seinem Horn "singen" kann, fällt der (aktive) Zugang zum Jazz meist nicht sonderlich schwer.
Ohne dieses "singen" Können bleiben die Ergebnisse so unbefriedigend, dass man es m.E. besser bleiben lässt.

:trumpet2:
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Re: Jazztheorie

Beitrag von trompeterli »

Bixel hat geschrieben: In der Klassik strebt man den "geraden Ton" an, im Jazz dagegen versucht man, dem (natürlichen) Klang der menschlichen Stimme nahe zu kommen.
Damit es nach Jazz klingen kann, ist es m.E. unverzichtbar, mit seinem Instrument "singen" zu können, also ohne den Umweg(!) über Noten innerlich Gehörtes direkt auf das Instrument übertragen zu können.

Wenn man mit seinem Horn "singen" kann, fällt der (aktive) Zugang zum Jazz meist nicht sonderlich schwer.
Ohne dieses "singen" Können bleiben die Ergebnisse so unbefriedigend, dass man es m.E. besser bleiben lässt.

:trumpet2:
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Das trifft es ganz gut. :gut:
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Re: Jazztheorie

Beitrag von Singvögelchen »

Der olle Telemann (1681-1767) schrieb bereits:

Singen ist das Fundament zur Music in allen Dingen

Und es ist völlig richtig, dass eine "klassisch etüdenmäßig" gespielt klassische Etüde halt so klingt wie sie ist, hölzern, langweilig, technisch, zuhörerfeindlich.
Die Kunst auch in der klassischen Musik ist es doch aber genauso, die gesanglichen Linien, die natürlichen Phrasierungen zum Leben zu erwecken und natürlich auch dem Klang wenigstens annähernd die Bandbreite der menschlichen Stimme abzugewinnen.
Hört euch den großen Telemann gespielt von Maurice Andre einmal an, singt er oder singt er nicht? Hört euch die Schneidbrenner in einer heißen Bigband an, singen die oder brüllen die in ihre Instrumente? Es gibt auf beiden Seiten Sänger und Nichtsänger.

Nichts für ungut, wollte nur nicht das Ideal des Gesangs hier auf dieser Seite alleinig dem Jazz überlassen, auch andere Musiker haben sich die menschliche Stimme zum Vorbild genommen. :cracy:
Liebe Grüße vom Singvögelchen!


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Re: Jazztheorie

Beitrag von Bixel »

Klar, Telemann, MA und viele Andere singen.
Die meinen aber vermutlich das "Kunstsingen".

Ich meinte das unaffektierte, natürliche Singen.

:P
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Re: Jazztheorie

Beitrag von Singvögelchen »

Ich glaub ich verstehe, wie du das meinst.

Schließlich gibt es ja sogar eine eigenständige Methodik "Jazzgesang". Auch die haben Stimmbildung, auch das ist schon Kunstsingen in gewissem Sinne. Die lernen dann verschiedene Stilistiken, und wenn sie richtig erfolgreich werden, dann bedienen sie auch nur noch die eine, die sie aus dem Bauch raus beherrschen, Gospel, Blues usw...

Und ich gebe zu, dass ich bei weitem nicht in der Lage bin, mein morgendliches Gesumm unter der Dusche auf meine Trompete eins zu eins zu übertragen. Da haben mir alle Jazzer und Improvisateure gewaltig was voraus.
Liebe Grüße vom Singvögelchen!


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Re: Jazztheorie

Beitrag von Bixel »

Hier eine herrliche englischsprachige Einführung in das Wesen der Improvisation:



Besser kann man das Wesentliche m.E. nicht vermitteln.

:D :gut:
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Re: Jazztheorie

Beitrag von dunbia »

Bixel hat geschrieben:Hier eine herrliche englischsprachige Einführung in das Wesen der Improvisation:
:gut: :gut:
lohnt sich, öfter "reinzuziehen"!

hääf möörsi!
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Re: Jazztheorie

Beitrag von adastra »

Klasse, Bixel, das Video ist ein echtes Juwel! Charlie erklärt es so unwiderstehlich logisch, dass ich einfach verstehen musste, wie man sich dem Jazz nähern sollte. Außerdem ist der Typ echt coolio, "sorry, I had to answer the door, I got a packet"...weltklasse :lol:

So, folks, I am gonna be a baby, looking for a simple song to immitate, assimilate and innovate.

PS: Bixel, jetzt hab ich auch verstanden, was Du eigentlich gesagt hast :gut:
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