Hallo zusammen!Amethyst hat geschrieben:Hallo Jens,
was mich interessiert. Habe ich das bei Charlie Porter richtig verstanden, er bringt die Lippen eher gleichmäßig wie zum Küssen nach vorne und lässt beide Lippen, Ober- und Unterlippe gleichmässig schwingen?.
Ansonsten habe ich bei mir den Mundspalt eher am unteren Rand des Mundstücks, bensonders für Höhen benötigte ich das. “Die Unterlippe hält – die Oberlippe schwingt”.
Oder meint er das anders.
Von einem "nach vorne bringen" der Lippen kann nach meinem Verständnis keine Rede sein. Befolgt man die vier Schritte, die ich am Anfang beschrieben habe, ist ein relativ gleichmäßiges Schwingungsverhältnis zwischen Ober- und Unterlippe für mich die logische Konsequenz. Ein "nach vorne bringen" oder etwa Gegenteiliges wie das Einrollen, findet definitiv nicht statt. In seinem "Three Compressions"-Video (Minute 19:30-20:30) kann man das sehr gut sehen. Wie das letztlich für den individuellen Spieler aussieht, wie der Ansatzwinkel und das Verhältnis zwischen Ober- und Unterlippe aussieht, hängt von den individuellen anatomischen Gegebenheiten ab.
Ich möchte noch meine Erfahrungen aus der letzten Stunde mit Charlie teilen:
Zunächst hat er mir bestätigt, dass meine "mechanischen" Probleme aus dem Weg geräumt sind und ich auf einem guten Weg bin. Das macht Mut. Wir haben noch eine Weile über Mundstückbuzzing gesprochen, welches sich für mich zuletzt als äußerst nützlich erweist. Jetzt, da die rein ansatztechnischen Probleme beseitigt sind und alles eine Frage der Übung ist, finde ich Mundstückbuzzing extrem hilfreich, um musikalisch an sich zu arbeiten. Ein kleines Beispiel: Als Teil meiner Zwischenprüfung im nächsten Semester werde ich u.a. die "Grand Russian Fantasia" von J.Levy spielen. Mit dieser hatten wir uns in der letzten Stunde auch zuletzt noch beschäftigt. Im dritten Takt des ersten melodischen Teils ist ein Vorschlag (f2->es2) zu spielen. Wir hatten festgestellt, dass ich jenen Vorschlag häufig verkiekst habe. Rückblickend lag das allein daran, weil ich zuvor das f2 nicht richtig gehört habe. Stattdessen habe ich eher ein d2 gespielt, welches sich so nach und nach eingeschlichen hatte. Worauf will ich hinaus? Die letzte Stunde hat mir gezeigt, dass es definitiv unabdingbar ist, ALLES, was man spielt vorher auch richtig zu hören. Dies kann man mit dem Mundstück wunderbar üben. Gleichzeitiges Greifen mit der rechten Hand ist auch eine super Sache. Ich weiß, das ist sicherlich nichts neues, aber mir hat es mal wieder die Augen geöffnet. Die ganzen technischen Übungen und das richtige Funktionieren des Ansatzes ist das eine, aber viel wichtiger ist letzen Endes das musikalische Gehör. Ich kann jetzt schon erahnen, dass mich das richtige Hören in Kombination mit Mundstückbuzzing entscheidend weiterbringen wird. Das Mundstückbuzzing bietet, sofern der Ansatz richtig funktioniert, noch weitere Vorteile: Achtet man stets auf einen guten Ton, so ist automatisch sichergestellt, dass Lippen und Zunge i.d.R. richtig arbeiten. Dieses Gefühl scheint sich der Körper zu merken, wenn man danach direkt auf das Instrument wechselt. Zumindest konnte ich diese Erfahrung auch mit der 1. Characteristic Study aus Arban machen. Nachdem ich die Etüde zunächst intonationssicher (!) auf dem Mundstück spielte, fühlt es sich auf dem Instrument um einiges sicherer an, in jeglicher Hinsicht. In Bezug auf mich stelle ich zumindest folgende These auf: Spielt man bloß mit dem Instrument (auch wenn man vielleicht denkt, man hört schon gut), so läuft man Gefahr, dass man sich (unterbewusst) zu sehr auf die Ventile verlässt. Bloß weil man einen Knopf drückt, verändert sich noch lange nichts . In der Praxis hat es sich bei mir folgendermaßen und ich denke auch recht typisch geäußert: Hohe Töne geraten schnell etwas zu tief und tiefe Töne zu hoch. Genau das ist der Punkt, wo man mit dem Mundstück und vor allem dem Gehör entscheidend eingreifen kann. Ich jedenfalls werde mich und mein Gehör so stets überprüfen und ich bin sicher, dass sie die Akkuratesse und der Klang so noch stark verbessern lässt.
Um generell sein Gehör etwas zu schulen, gab mir Charlie noch folgende Übung mit auf dem Weg:
Man spiele folgende Akkorde arpeggiert 1-2 Mal hintereinander:
CMAJ7 - c e g h c
C7 - c e g b c
CminMAJ7 - c es g h c
Cmin7 - c es g b c
Cmin7b5 - c es ges b c
Cdim7 - c es ges a c
Ab7 (1st inversion) - c es ges as c
Anschließend kann man die ganze Abfolge einen Halbton höher beginnend wiederholen usw. Auch diese Übungen sollte man zunächst intonationssicher und mit richtigen Griffen auf dem Mundstück beherrschen. Ich konnte feststellen, dass man sich an der ein oder anderen Stelle verhört (große Septime etwas zu tief bspw.). Ich denke, dass man durch das Mundstück so sein Gehör gut schulen kann und so eine gute Grundlage für alle musikalischen Richtungen legen kann.
Noch ein weiterer Tipp von Charlie, den ich definitiv ausprobieren werde:
Er meinte, wenn ich noch schnellere Fortschritte möchte, solle ich mich mal selber aufnehmen und anschließend kritisch beurteilen, um danach an sich arbeiten zu können. Ich denke, das ist gerade mit Hinblick auf ein Vorspiel eine gute Sache und sicher einen Versuch wert.
Zuletzt noch eine Kleinigkeit:
Die Relation zwischen frei gespieltem Ton mit den Lippen und gespieltem Ton auf dem Instrument ist in der Mittellage zwar ca. eine kleine Sexte, aber je höher man spielt, desto größer wird dieser Abstand. Wir haben uns das so erklärt, dass die Zunge mit zunehmender Höhe deutlich mehr dazu beiträgt und so sogar die Arbeit der Lippe abnimmt. Bei einem gespielten g3 bspw. klang nur noch ca. ein g1, wenn das Instrument von den Lippen entfernt wurde. Also diesen Zusammenhang bitte nicht überbewerten. Fakt ist, es gibt einen Zusammenhang und freies Lippenbuzzing hat sicher, sowohl für musikalische Zwecke wie das Spielen von Melodien, als auch zum Stärken der Ansatzmuskulatur, seine Vorteile.
Beste Grüße & ein schönes Wochenende
Jens