Wie wichtig ist "Leer-Spielen"?

Ansatzfragen, Welche Methode ist die beste,
Probleme, Gundlegende Techniken etc.

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Sandu
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Wie wichtig ist "Leer-Spielen"?

Beitrag von Sandu »

Hallo zusammen,
angeregt durch einen gemeinsamen Etüden-Nachmittag mit einem Kollegen interessiert mich Eure Meinung zum Thema, Übungen so zu spielen, dass man während der einzelnen Sequenzen seinen kompletten Atem "verbrät".
Gibt es Argumente dafür oder dagegen? Ist es - wie so oft - eine Frage der Dosierung? Wie sind Eure Erfahrungen dazu?
stefan0011
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Re: Wie wichtig ist "Leer-Spielen"?

Beitrag von stefan0011 »

Man sollte zumindest bis zum Ende der Sequenz noch einen stabilen und v.a. keinen abgequälten Ton vorweisen. Grundsätzlich ist "Leer-Spielen" unter der erwähnten Voraussetzung gut für ein tiefes, reflektorisches "nach hinten, unten" (Zwerchfell-) Atmen. So zumindest meine Erfahrung und Meinung. Natürlich wird, wenn es eine Passage verlangt, auch geatmet, wenn noch genügend Luft für viele weitere Töne vorhanden wäre, jedoch nicht die gesamte Passage.
Kunst ist intentional verrauschte Information.
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Dobs
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Re: Wie wichtig ist "Leer-Spielen"?

Beitrag von Dobs »

Sandu hat geschrieben:Hallo zusammen,
angeregt durch einen gemeinsamen Etüden-Nachmittag mit einem Kollegen interessiert mich Eure Meinung zum Thema, Übungen so zu spielen, dass man während der einzelnen Sequenzen seinen kompletten Atem "verbrät".
Gibt es Argumente dafür oder dagegen? Ist es - wie so oft - eine Frage der Dosierung? Wie sind Eure Erfahrungen dazu?
Vielleicht ist das etwas missverständlich formuliert. Ich glaube nicht, dass es darauf ankommt, seine ganze Luft zu "verbraten", egal wie stark man sich aufgepumpt hat, aber es könnte sinnvoll sein, genauso viel zu atmen und Luft für die Etüde vor zu halten, wie dafür nötig ist, um sie klanglich und technisch zu bewältigen, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. So hat man dann im Idealfall am Ende der Etüde seine Luft vebrauch haben. Vermutlich ist das damit gemeint?
"Musik und Bier sind Themen, die traditionell sehr eng miteinander verbunden sind." - Sch.-Hausbrandt (Herri Bier)
buddy
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Re: Wie wichtig ist "Leer-Spielen"?

Beitrag von buddy »

Als Atemübung mit Instrument ist die Erfahrung ganz interessant, wie weit die Luft denn reicht, wenn sie muss.
So findet man bei den dafür geeigneten Übungen der Clarke Technical Studies einen entsprechenden Hinweis in den kurzen Texten. An diesen Texten wurde mit der Zeit herumeditiert, aber das Original von 1912 ist bei IMSPL erhältlich.
Anweisung 1 für die chromatische First Study: Practice each Exercise from 8 to 16 times in one breath.
http://imslp.org/wiki/Clarke%27s_Techni ... t_Lincoln)

Bild

Z. B. Bei der Sinfonia aus der Bach Kantate BWV 156 merkt man schon, wie nützlich es ist, wen man mit "langem Atem" spielen trainiert hat.
http://javanese.imslp.info/files/imglnk ... dagio_.pdf
Singvögelchen
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Re: Wie wichtig ist "Leer-Spielen"?

Beitrag von Singvögelchen »

Für mich gibt es fast nichts Schlimmeres, als am Ende einer Phrase luftmäßig zu verhungern. Ein Schlusston muss einfach Kraft und Glanz haben, immer mit einer gewissen Reserve zum "Drüberhalten". Aber direkt vorm Schlusston nach Luft schnappen zu müssen ist auch schrecklich. Das ist übrigens eine Angewohnheit vieler jüngerer Schüler, die man diesen schnell und erfolgreich abgewöhnen kann. Ein schöner Einstieg in die Problematik der Luftführung und Phrasierung.

Bei Einspielübungen versuche ich, soviel Luft wie möglich zu verbrauchen, bis ich eben leer bin. Lange Phrasen auf einer Luft, 20, 30, 40 Sekunden oder auch länger. Anschließend Erhoungspause, nicht gleich weiter, ich will mich ja nicht zu Anfang gleich ruinieren). Einfach um zu wissen (jedenTag aufs Neue) wie groß meine Kapazitäten sind. Bei Etüden (traditionell meist ohne sinnvolle Atemstellen komponiert...leider) hat man das gegenteilige Problem: unverbrauchte Luft, die immer mehr wird, die Atmung rutscht beim Nachatmen höher und höher, es fühlt sich an, als ob man gleich platzt. Dagegen hilft dosiertes und geplantes Ausatmen an bestimmten Stellen, um halt bei der nächsten Einatmung wieder leer zu sein und atemmäßig ganz nach unten zu kommen.
Liebe Grüße vom Singvögelchen!


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Re: Wie wichtig ist "Leer-Spielen"?

Beitrag von womei »

Anbei ein kleines Zitat aus Jeff Smileys "The Balanced Embouchure" zu diesem Thema:

Hold-Till-Empty
As players, we consider it important to warm up the lips, fingers and
horn, but rarely do we think about warming up the machine which
warms up everything else.
Warming up the wind machine is the primary reason for doing these
exercises. Holding notes as long as possible – until the air is exhausted,
the stomach shakes, the horn shakes and the pitch dwindles upwards -
is just as valuable as practicing taking a big breath. Both actions explore
the extreme ends of the breathing range of motion. However, few
teachers know the benefits of pushing the limits when exhaling.
I learned the value of exaggerated exhalation from Claude Gordon back
in 1977. Claude really didn't say exactly why holding notes until empty
was valuable, only that it forced you to more fully work the muscles
which actually create the air pressure. He was right. It activates muscles
you never knew existed, leading to increased air pressure and deeper
breathing. And in some magic way, it invigorates your whole being.
Sandu
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Re: Wie wichtig ist "Leer-Spielen"?

Beitrag von Sandu »

Ich danke Euch für Eure Anmerkungen.

@Womei: Den Smiley habe ich ja auch, den zitierten Text allerdings schon wieder "vergessen", danke auch dafür.
@Dobs: Es geht ein bisschen in die Richtung, ob es sinnvoll sein kann (womöglich auch in Form eines Warm-Up-Bestandteils) die Atmung mit Leerspielen zu aktivieren/optimieren. Das geht ja ein bisschen in Singvögelchens Richtung.
buddy
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Re: Wie wichtig ist "Leer-Spielen"?

Beitrag von buddy »

Sandu hat geschrieben:Das geht ja ein bisschen in Singvögelchens Richtung.
Singvögelchen spricht einen Grundpfeiler an, der z.B. im Konzept von Herbert L. Clarke, Claude Gordon oder auch für Arnold Jacobs samt der Atemübungen ganz wesentlich ist.
https://www.purtle.com/claude-gordon-he ... ass-herald
http://www.davidbrubeck.com/arnold-jacobs-legacy/
Singvögelchen
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Re: Wie wichtig ist "Leer-Spielen"?

Beitrag von Singvögelchen »

[quote="buddy"]
Atemübungen

Ich möchte nicht despektierlich sein, aber diese Art von Videos lässt mich immer skeptisch werden...wer die Atmung in ihren ganzen Facetten nicht bereits vollständig durchschaut hat, der wird vesuchen, Atemübungen bis zum Exzess, bis zur vollständigen Verkrampfung zu betreiben. Schade, dass Meister Steenstrup nicht zur Abwechslung mal eine hübsche Kantilene auf seiner Trompete spielt, um den eigentlichen Zweck seiner Kunst zu demonstrieren. Das ist es doch, worauf es eigentlich ankommt. Nur mit Atemübungen allein gewinnt man noch lange keinen Blumentopf. :?
Liebe Grüße vom Singvögelchen!


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buddy
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Re: Wie wichtig ist "Leer-Spielen"?

Beitrag von buddy »

Singvögelchen hat geschrieben:Nur mit Atemübungen allein gewinnt man noch lange keinen Blumentopf
Das sehe ich genauso, denn Atemübungen sind nur ein Bausteinchen und nicht der Weg zum gut klingenden Trompeter.
Nur widmet sich dieser Thread nun einmal dem Aspekt "Ausatmung bis zur (scheinbar) leeren Lunge" und nicht dem, was sonst noch alles zum Trompete üben, geschweige denn Trompete spielen gehört.


Was das "vollständige durchschauen" der (äußeren) Atmung betrifft, so hat definitiv keine/r meiner vier hochschuldiplomierten Trompetenlehrer ein auch nur halbwegs fundiertes Wissen zum Thema gehabt, zum Ansatz übrigens auch nicht.
Entsprechend hilflos waren sie methodisch abseits dem "Vorspielen/Nachspielen" oder der Bewertung von Schülerbemühungen. Also wurden bei den typischen Problemen die tradierten und oft genug kontraproduktiven Sprüche zur Hilfe gereicht, die man seit Generationen kennt.

Aber dennoch waren sie allesamt beruflich erfolgreiche Musiker/Trompeter mit etlichen eigenen musikalischen Aktivitäten neben der Schülerausbildung.

Ohne einigen Hinweisen aus diesem Forum (danke, TrompeteRT) und den playwithapro Videos hätte ich 2010 mit der Trompete aufgehört, denn da war das Ende einer Sackgasse namens "Atmung und Ansatz Katastrophe" bei mir erreicht.
Das wohlgemerkt mit konsequent fleissigem Üben, engagierter Suche nach Korrekturmöglichkeiten und wöchentlicher Unterrichtung durch einen in meiner Heimat anerkannten Lehrer und diplomierten Trompeter (Aushilfe philharmonisches Orchester, in ambitionierter Brass Band aktiv, Blasmusik-Dirgent und Ausbilder usw.).

Kristian Steenstrup hat seine Arbeit mit der Professur in Aarhus, seinem Buch "Teaching Brass", das wie eine (gute) Dissertation daherkommt und seinen Master Classes rund um die Welt zweifellos ganz auf die pädagogische Forschung und musikalische Lehre verlegt.
Kurzbio: Studium an der The Royal Academy of Music Aarhus und an der Northwestern University in Chicago bei Vincent Cichowicz und Arnold Jacobs, Diplom 1992.
Seit 2000 Ass. Professor in Aarhus, 2004-2007 Gastprofessor am Royal College London und mittlerweile (ordentlicher) Professor in Aarhus. Eine Auflistung seiner Master Class Kurse kannst Du unter dem Link ebenfalls nachlesen. http://www.musikkons.dk/index.php?id=184&profile_id=627
Sein Grundlagenbuch "Teaching Brass" hatte ich schon erwähnt.

Soweit ich mich erinnere, habe ich auch von Steenstrups professioneller Orchestererfahrung als Trompeter gelesen. Wie er am Instrument einzuschätzen ist, müsstest Du Reinhold Friedrich fragen. Vielleicht hat R.F. Herrn Steenstrup ja einmal auf der Trompete gehört. Auf jeden Fall fand er ihn aber kompetent genug, um ihn auch nach Karlsruhe einzuladen.

Ob man die Clarke - Gordon - usw. -Tradition oder bestimmte Übungen verschiedener prominenter Blechbläser des Chicago Symphony Orchestra, wie sie Steenstrup und Friedrich vermitteln, letztlich hilfreich findet oder nicht, das muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden.
Singvögelchen
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Re: Wie wichtig ist "Leer-Spielen"?

Beitrag von Singvögelchen »

Sehr gut geschrieben, bin völlig bei dir, Buddy.
Auch wenn es in diesem Thread nicht hundertprozent passend ist (Mod...abtrennen???), so möchte ich doch eine pädagogische Erfahrung mit einbringen, die sich mir eben durch dieses kleine Vorschaufilmchen von Steenstrup zu einem klaren Bild zusammengefügt hat. Ich meine den ganzheitlichen Weg in der Entwicklung/Ausbildung, bei dem sich alle wichtigen Bausteine irgendwie parallel und halbwegs gleichmäßig entwickeln sollten. Kraft, Fingertechnik, Atmung, Klangsinn, Musikalität, geistige und körperliche Reife (ich erinnere an all die in der Versenkung verschwundenen ehemaligen Wunderkinder :? )...all diese Dinge hängen immer miteinander zusammen. Sobald sich ein Ausreißer einschleicht, droht das System auseinanderzubrechen. Leider meistens mit negativen Auswirkungen auf die Atmung. Deswegen ist Steenstrup ja auch so erfolgreich, weil bei diesem Thema immer eine Verbesserung zu erzielen ist. Ich nehme mal an, auch bei jedem hier aus dem Forum :lol:
Dennoch, falls die Ursache einer verspannten Atmung in einer anderweitigen Störung liegt, muss diese Störquelle analysiert und ausgemerzt werden, dazu die Atemspielchen als quasi Garnierung oder auch Ablenkung. Die gesamte Trompeterpersönlichkeit muss immer Kern der Betrachtung bleiben. Eine allgemein zu schlaffe Atmung zu aktivieren ist mit dem Video aber wunderbar möglich.

Von der Play with a pro Reihe ist mein persönlicher Favorit der Reinhold Friedrich, wie er im Morgenmantel seine Einspielübungen zelebriert. Das kann ich mir hundertmal anschauen, besser noch: inhalieren und es fasziniert mich immer wieder. Da ist einfach alles perfekt, die Ansatzmaske,der Klang, die Luftführung, absolut locker und leicht. Der Bursche macht aus einer simplen Tonleiterübung ein musikalisches Wunderwerk. Das hat er als einer der ganz wenigen zur Vollendung gebracht. :gut: :gut: :gut:
Praktiker eben und kein Theoretiker :D
Liebe Grüße vom Singvögelchen!


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Re: Wie wichtig ist "Leer-Spielen"?

Beitrag von buddy »

Singvögelchen hat geschrieben:Die gesamte Trompeterpersönlichkeit muss immer Kern der Betrachtung bleiben.
Sehr stimmig formuliert und vor dir geschrieben auch absolut glaubwürdig. :gut:
Ich meine natürlich die gesamten Ausführungen, nicht nur den beispielhaft zitierten Satz :mrgreen:
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