Blinder Schüler

Ansatzfragen, Welche Methode ist die beste,
Probleme, Gundlegende Techniken etc.

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leonfair
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Blinder Schüler

Beitrag von leonfair »

Hallo liebe Kollegen,

ich habe eine Frage. Und zwar sind die Eltern eines blinden 11-jährigen (den ich schon länger kenne) an mich herangetreten und mich gefragt, ob ich dem Jungen nicht ein bisschen das Flügelhornspielen zeigen möchte, da ihm der Klang so gut gefällt.

Meinen Rat, den Buben an der Musikschule anzumelden, wollen die Eltern (noch) nicht nachgehen, zum einen weil der Junge sehr schüchtern ist und sehr lange braucht, sich an "Fremde" zu gewöhnen zum anderen ist es von dem Jungen der eigene Wunsch, mit mir Zeit zu verbringen und eben etwas Flügelhorn zu lernen.

Ich hab jetzt noch nicht direkt zugesagt, aber mir wird wohl nix anderes übrig bleiben, da ich die Familie sehr mag. Die Problematik ist für mich nun folgende: Wie geh ich das ganze jetzt sinnvoll an? Wie kann ich einem blinden Kind sinnvoll Ansatzposition und dergleichen vermitteln? Ich hatte daran gedacht dass ich viel mit Hörbeispielen arbeite, von Beginn an, da Notenlesen nicht drin sein wird. Aber wo bekomm ich da das Richtige her? Gibt es sowas im Handel?

Ich hätte insbesondere gehofft dass mir der User Blind_Wolf mir einpaar Tipps geben könnte.

Wie würdet ihr das angehen?

Sg
Leonfair
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Blind Wolf
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Re: Blinder Schüler

Beitrag von Blind Wolf »

Also, selbstverständlich gibt es Notenschrift für Blinde! Die ähnelt der Lese-Blindenschrift, besteht also aus Punkten, die je nach Ton in einer bestimmten Reihenfolge , in einem bestimmten "Bild" angeordnet sind. Da es sich bei einem Flügelhorn, Trompete usw. um ein einstimmiges Instrument und nicht zB um das Klavier handelt, ist das Lesen und in Spiel umsetzen relativ einfach. Ich gehe mal davon aus, dass der Schüler bereits die Blindenschrift zum Lesen und Schreiben mindestens in der Grundform kennt, also hat er auch schon das taktile Verständnis für diese Art des Lesens entwickelt.
Es ergeben sich zwei Grundaufgaben:
Erstens muss der Schüler die Notenblindenschrift lernen und
zweitens muss das Lernmaterial in Blindennotenschrift umgesetzt werden.
Für Ersteres gibt es Kurse und für das Zweitere Institutionen, die das machen, unter Umständen gibt es auch bereits Trompetenschulen oder ählich in Blindenschrift.
Über beides informiert der örtliche Blindenbund, die Adresse müssten die Eltern kennen.
Die Blindennotenschrift funktioniert so:
Der Schüler tastet die entsprechende Zeile ab, erkennt den Ton bzw. die Töne und muss sie sich merken, da er ja während des Spielens nicht gleichzeitig die Noten abfühlen kann. Das gelingt nach einiger Übung relativ schnell, sogar das Orgelspiel mit dreifachem System, also mit Pedal, ist so erlernbar.
Nach Gehör spielen lernen würde ich ins Lernprogramm mit aufnehmen, also beides parallel, Notenschrift und Gehör. Eine Grifftabelle müsste ebenfalls über die Institution Blindenbund in Blindenschrift umsetzbar sein und sollte dann vom Schüler auswendig gelernt werden, da sehe ich die geringsten Schwierigkeiten.
Der Einstieg ist wohl der Ansatz, und da bist du wohl auf deine Fantasie angewiesen. Du erklärst, wie es gemacht wird, Lippen, Zunge etc und korrigierst, so wie es dir der Schüler zunächst ohne Instrument bzw. Mundstück zeigt. Du kannst verbal oder auch mit der Hand den Mund korrigieren, aber erst, nachdem du die Erlaubnis des Schüler eingeholt hast. Jede Körperliche Berührung nur mit Einverständnis, Blinde sind da manchmal überempfindlich.
Vielleicht mit Buzzen anfangen, das kann auch für den Schüler witzig sein und Spaß machen. Buzzen auch ohne Mundstück, also Lippenbuzzing.
Übriges wie Atmung, Haltung des Instruments etc. dürfte nicht blindenspezifisch schwierig sein.
Muss es denn ausgerechnet ein Flügelhorn sein? Ist doch ziemlich groß und schwer und braucht mehr Luft als das kleinere, leichtere und auch sehr schön klingende :-) Kornett? Wäre auch zu überlegen. Zwar ist wohl der Schüler zunächst durch den schönen Flügelhornklang motiviert, aber ob das angesichts der obengenannten Nachteile von Dauer ist? Gut ich als Kornett-Fan mische mich in diese Frage nicht weiter ein.
Diese Anmerkungen und Hinweise in Kürze.
Grüße von Wolf
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TrompetenKäfer
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Re: Blinder Schüler

Beitrag von TrompetenKäfer »

Naja, was ist der Unterschied zwischen einem Schüler der sehen kann, und sein Mundstück unmöglich ansetzt und einem Blinden, der´s nicht sieht?
Meiner Erfahrung nach sind sehbehinderte Menschen in allen anderen Sinnen viel ausgeprägter und treffsicherer, weshalb ich erwarten würde, dass der Junge sehr schnell fühlen wird, wo das Mundstück hingehört und viel schneller hören wird, ob/was gut klingt.

Ich würde meinen, dass du so unbefangen, wie es dir möglich ist, an die Sache heran gehst. Du fürchtest dich da wahrscheinlich vor Dingen, die garkeiner Furcht bedürfen.

Sobald der Bursche die ersten Töne aus dem Instrument herausgekitzelt hast, wird das lange Zeit von selbst gehen, bis du an die Leistungsgrenze stößt.

Wenn du einschlägige Übungen mit ihm lernen willst, dann wirds vermutlich helfen, wenn du als gutes Beispiel voran gehst. Was soll es werden, wie soll es klingen (Klang- und Rhythmusvorstellung usw...) Notierte Vorlagen per se sind jetzt für mich speziell in der Anfangsphase nicht zwingend nötig.
leonfair
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Re: Blinder Schüler

Beitrag von leonfair »

Danke für eure Antworten und Tipps. Das mit der Blindenschrift und Notenlesen wusste ich nicht. Da werd ich mal bei den Eltern nachfragen. Ansonsten würd ich gern mit so einer typischen Anfängerschule wie "hören. Lesen. Spielen." starten.
Mal schauen obs da auch was für Blinde gibt.

Ich will irgendwie versuchen - wie bei allen Anfängern die ich "Eingelernt" habe - vor allem spielerische Elemente am Anfang ein zu Bauen. Freies Buzzing und Mundstück buzzing finden die meisten Kinder lustig, hier werde ich Anfangen.

Bei der Instrumentwahl bin ich unschlüssig. Auf der einen Seite möchte der Junge Flügelhorn lernen auf Grund des Klanges, ich halte jedoch das FH für ein schlechtes Instrument für die ersten "Gehversuche" im hohen Blech, vor allem weil sich größere blastechnische Mängel beim Flügelhorn im Klang später bemerkbar machen als auf der Trompete/Kornett.

Ich erinnere mich da an meine Kinderzeit. Ich wollte unbedingt Trompete lernen und wenn man mir dann mit einem Kornett/FH gekommen wär, wär ich angepisst gewesen. Aber auch hier werd ich nochmal mit dem Kind + den Eltern reden.
Auf jedenfall könnte ich dem Jungen jetzt schon ein Yamaha 631 mit nachgerüsteten Trigger sowie ein CarolBrass Cornet aus unserem Musikvereinbestand leihen. Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Ich bin beim überlegen, ob ich mir nich das Aufnahmegerät "Zoom h2n" zulege und dem Kind vor allem am Anfang einfach alle Töne von c'-c'' draufspiele und jeweils den Tonnamen und die Griffkombination draufspreche. Ich will wirklich viel mit Audio und Hörbeispielen machen, wenn der Junge 4 Töne hintereinander hört, will ich, dass er sie ohne "Notenlesen" nachspielen kann.

Ansonsten bin ich imner über Tipps dankbar, das mit den immer um Erlaubniss fragen, wenn ich bei der Ansatzposition was ändern will is ein wertvoller Tipp! Danke. Keep em coming.

Mfg
Leonfair
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Re: Blinder Schüler

Beitrag von posaune »

leonfair hat geschrieben: Bei der Instrumentwahl bin ich unschlüssig. Auf der einen Seite möchte der Junge Flügelhorn lernen auf Grund des Klanges, ich halte jedoch das FH für ein schlechtes Instrument für die ersten "Gehversuche" im hohen Blech, vor allem weil sich größere blastechnische Mängel beim Flügelhorn im Klang später bemerkbar machen als auf der Trompete/Kornett.
Und? Wenns denn wirklich so ist, ist aber jedenfalls der Einstieg leichter.
leonfair hat geschrieben: Ich bin beim überlegen, ob ich mir nich das Aufnahmegerät "Zoom h2n" zulege und dem Kind vor allem am Anfang einfach alle Töne von c'-c'' draufspiele und jeweils den Tonnamen und die Griffkombination draufspreche. Ich will wirklich viel mit Audio und Hörbeispielen machen, wenn der Junge 4 Töne hintereinander hört, will ich, dass er sie ohne "Notenlesen" nachspielen kann.
Wenn Du regelmäßig mit dem Jungen übst, könnte ich mir vorstellen, daß es "vor allem am Anfang" völlig ohne Technik funktionieren wird. Er muß sich ja nicht jede Woche ganze Tonleitern merken, sondern da kommt langsam eins zum anderen.
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Re: Blinder Schüler

Beitrag von buddy »

Es wäre sicher arg schlecht für die Motivation eines jungen Anfängers, ihn von seinem Trauminstrument Flügelhorn "weglotsen" zu wollen.
Die Ausleihe oder Anschaffung eines Flügelhorns finde ich daher unumgänglich, aber zum Gück gibt es auch preiswerte Trompeten als "Beipack", die spielbar sind.
Daher würde ich aufs Doppelpack zielen und wenn der Schüler mit 11 Jahren Argumenten gegenüber nicht völlig verschlossen ist, dann würde ich ihm erklären, was mir einer meiner Lehrer einst zu meiner Flügelhorn-Vorliebe sagte: Flügelhorn spielt man und Trompete übt man.
Oder wie es Chase Sanborn so schön fomulierte:
The flugel is your friend,
The trumpet is your spouse,
Don't mix them up or
You may lose your house.
http://www.dallasmusic.org/gearhead/Flu ... Guide.html

Unabhängig davon, ob oder mit welcher Trompetenschule man arbeitet - die Grundlagen-Übungen und Stücke lassen sich sicherlich auch nach und nach über das Vorspielen - Nachspielen vermitteln.
Als Erinnerungshilfe und zur Unterstützung des Übens daheim würde ich die Übungen und Stücke aus dem Unterricht aufnehmen lassen, ein geeigneter kleiner "Fieldrecorder" kostet schließlich auch nicht besonders viel.
http://www.thomann.de/de/search_dir.htm ... der&oa=pra

Den Eltern sollte jedenfalls klar sein, dass jedes Hobby Geld kostet und das nicht nur den Musikunterricht betrifft, sondern auch Instrumente und Zubehör.
Wenn sie zucken, kannst Du einmal darauf hinweisen, was z.B. ein spielbares Fagott kostet. Da hat sich der Junior mit Flügelhorn und Trompete offenbar vergleichsweise günstig entschieden. Das wäre alles zusammen für knapp unter 1.000 EUR anschaffbar.
Blind Wolf
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Re: Blinder Schüler

Beitrag von Blind Wolf »

Sachdienliche Hinweise z.B. zur Blindennotenschrift und/oder Kontakt zu Musiklehrern, die selber blind sind oder blinde Schüler haben, kann sicher auch die Blindenstudienanstalt in Marburg liefern. Einfach mailen oder anrufen.
Siehe hier:
www.blista.de
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Miss Trumpet
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Re: Blinder Schüler

Beitrag von Miss Trumpet »

Eine Posaunistin aus meinem Bekanntenkreis - Angelika Poszvek - hat an der MS Vösendorf einen blinden Schüler auf Klavier und Tuba unterrichtet, der mittlerweile an der Musikuni in Wien studiert. Du könntest sie googeln und über Facebook, MS, etc. Kontakt zu ihr herstellen. Sie hätte sicher einige Tipps und Infos für Dich. Ev. hat sie über dieses Thema auch mal referiert oder sogar eine wissenschaftliche Arbeit geschrieben - ich erinnere mich leider nicht mehr so genau.

Hier der Internetauftritt ihres Schülers: http://www.blindenuss.at

Infos und Material bekommst du sicher auch über das Bundesblindeninstitut: http://www.bbi.at

LG, Miss Trumpet
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Re: Blinder Schüler

Beitrag von leonfair »

Vielen Dank,

die letzten beiden Beiträge werden mir weiterhelfen.
Werde die Dame kontaktieren.

Sg
Leonfair
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orlando_furioso
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Re: Blinder Schüler

Beitrag von orlando_furioso »

Hmmmm ... ich weiß nicht, ob ich da so theoretisch einsteigen würde. Es geht doch in erster Linie mal darum, dass der Junge herausfindet, ob ihm das Spielen spaß macht. Klar, eigentlich sollte man mit der Trompete oder dem Kornett anfangen. Ich hatte auch mal einen Schüler mit einer Spastik im linken Arm, der hat auch mit dem Flügi angefangen, weil er dort den unteren Rohrbogen gut fassen konnte. Dann sind wir übers Kornett auf die Trompete gewechselt.

Ich würde mit dem blinden Schüler zunächst das normale Startprogramm machen: Atmen, Tonerzeugung, Binden, Tonleiter. Natürlich immer schön mitspielen, damit er ein Feedback hat. Und wenn er das so einigermaßen drauf hat, dann leg doch einfache PlayAlongs ein und lass ihn die Melodien finden und mitspielen. Natürlich zunächst die Fassung mit Soloinstrument und später die ohne Soloinstrument. Einer meiner Schüler hat mal ein ganz einfaches Heft mit CD mitgebracht: "The easy Sound of Pop, Rock, Blues" von Michiel Merkies. Das ist wirklich ganz einfach. Wenn er einige Titel herausgefunden hat, dann würde ich im Nachhinein irgendwann mit dem Notenlesen beginnen.

Man muss sich ja auch einfach vor Augen halten, dass der Junge später nie sowas wie "vom Blatt spielen" können wird. Oder soll er mit einer Hand die Noten "ablesen" und dann mit der anderen spielen? Das kann ich mir kaum vorstellen. Also sollte der Focus zunächst darauf liegen, das er ohne Notenkenntnis durch hörendes erkennen einfach mitspielt.
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Blind Wolf
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Re: Blinder Schüler

Beitrag von Blind Wolf »

Es gibt einen blinden Trompeter, der auch Trompetenlehrer ist: Franz Badura. Kontakt über:
http://www.klangwerkstatt-amberg.de
Ich möchte noch etwas zu Orlandos Einwand sagen, der Schüler werde nie vom Blatt spielen können. Das ist in der Sache richtig, bezogen auf sehende Musiker. Aber auch nicht ganz richtig, denn Blinde können sehr wohl nach Noten spielen, nur eben auf ihre Art, ich habe das schon beschrieben, aber wohl nicht deutlich genug. Man muss sich das so vorstellen:
Der Blinde bekommt einen Ausdruck, auf dem die Noten in tastbarer Blindenschrift gefrägt sind. Der Blinde fühlt nun diese Zeichen mit dem Finger ab und prägt sie sich ein, er lernt also das Stück oder den Abschnitt, den Takt auswendig und spielt das dann. Das geht für jedes Instrument, von der Blockflöte bis zur Kirchenorgel. Man kann es sich vielleicht so vorstellen, wie ein Schauspieler seinen Text lernt, den er auf der Bühne ja auch nicht mehr zum Ablesen parat hat. Spielen prima vista ist aber natürlich nicht möglich, das geht nur bei Sehenden. Ich würde das Erlernen der Blindennotenschrift auf jeden Fall empfehlen, da der Schüler sonst ausschließlich darauf angewiesen ist, dass ihm vorgespielt wird oder dass eine Aufnahme des betreffenden Stücks vorliegt, wobei auch dann das Spielen nach Gehör schwierig ist, wenn es sich um ein mehrstimmiges Stück handelt und der Blinde seine Stimme heraushören soll. Da stoßen Blinde wie Sehende an Grenzen.
Außerdem kann ein Blinder, der die Blindennotenschrift kann, sich auch Stücke erarbeiten, von denen er nur die Noten, aber keine Aufnahme hat. Die Noten können an Blindenistitutionen geschickt werden, die die Noten individuell in Blindenschrift umsetzen. Falls es sich um einen Berufsmusiker bzw. Musikstudenten handelt, werden die Kosten vom Staat übernommen, soweit ich weiß. Bei dem hier vorgestellten Schüler müssen allerdings die Eltern die Kosten für die Umsetzung tragen, womöglich dabei auf das staatliche Blindengeld zurückgreifen, dass es jedenfalls in Deutschland gibt.
Natürlich ist es am Anfang des Unterrichts wichtig zu eruieren, welche Musikrichtung den Schüler interessiert, Klassik, Volksmusik, Jazz, Pop oder was sonst. Es sollte also auf jeden Fall auf die Motivation nicht nur bezüglich des Instrument, sondern auf auf die bevorzugte Musik eingegangen werden.
Um nicht missverstanden zu werden: Neben den Grundlagen der Tonerzeugung und des Lippentrainings, Atmung usw. ist es wie bei Sehenden auch ganz wichtig, das Gehör zu schulen, also nach Gehör zu spielen, das müssen Blechbläser m.E. sowieso generell können, das bringen unsere Instrumente nun mal so mit sich. Sich dabei darauf zu verlassen, dass Blinde besser hören als Sehende ist ein verbreiteter Irrtum. Das kann, muss aber nicht so sein. Blinde können Klänge generell besser in ihrer Gesamtheit (gemeint sind die Klänge) besser analysieren, sie zB im Raum verorten, die Stimmung des Sprechers aus dem Klang des Sprechenden ableiten und so weiter. Für Musik generell besser angelegt zu sein, das stimmt in dieser Absolutheit jedenfalls nicht. Es gibt ganz unfähige Blinde, die noch nicht mal eine leichte Melodie nachsingen können, aber trotzdem Musik lieben und gut analysieren können. Das Gefühl gegenüber der Musik steht dabei aus meiner Erfahrung im Vordergrund, und zwar scheinen mir die bei Blinden ausgelösten Gefühle beim Musikhören sehr essentiell und tiefgreifend zu sein. Darum würde ich mit blinden Schülern auch immer die Gefühlsseite der Musik besprechen: welche Gefühle kommen bei dir hoch, wenn du dies Stück spielst oder hörst? Wie kannst du beim Nachspielen dieses Gefühl technisch umsetzen? Was macht dir Spaß, was löst bei dir unangenehme Gefühle aus? usw. Entschuldigung, da kommt gerade der Psychologe in mir hoch, ich bin eben kein Pädagoge, der könnte das sicher besser didaktisch strukturieren.
Aber ich fand es gut, mal über diese Seite nachzudenken, das hatte ich noch nicht gemacht, und jetzt beschäftigte mich das doch ganz ordentlich. Ich könnte mir vorstellen, dass dies auch mal Thema unter Musiklehrern bzw. in deren Verbänden sein könnte/sollte, vielleicht war es das soger schon?
Ein langer Beitrag von mir, aber vielleicht bringen meine Gedanken weiter.
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