Liebe Sanev,
zunächst einmal stelle ich fest, dass du den Mumm hattest, dich einer Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule zu stellen. Diesen Mut würden wahrscheinlich viele scharfe Zungen hier im Forum nicht aufbringen.
Lass dich also nicht entmutigen und verfolge deinen Weg.
Wie ich schon oft geschrieben habe, bin ich ein Befürworter, dass erst alle Probleme am Körper behoben werden sollten. Denn funktioniert das Spielen intuitiv problemlos, so machen in den schlimmsten Situationen meist die Nerven auch mit. Oder mit anderen Worten: Wenn die Atmung, der Ansatz und die Zungenfunktion ausreichend automatisiert ist, so kollabiert das System auch in Stresssituationen eher nicht. Gibt es hier aber bereits im Proberaum Probleme, so reicht die kleinste Angstsituation, dass alles zusammenbricht, man verkrampft usw.
Ist das Maß von Angst und daraus resultierender Verkrampfung/Einbrüche trotz körperlich korrigierter Funktionalität dennoch zu groß, dann muss man an psychische Hilfestellungen denken.
Auch wenn Burba sehr umstritten ist: Seine Übungen zur Atmung helfen, dass der Körper intuitiv lernt, nicht zu verkrampfen. Wenn man lange genug die Atmung automatisiert, dann gelingt dies automatisch auch in Stresssituationen (was Konzerte sein können). Ich bin zwar kein Freund seines mimischen Lehrziels, aber die Burba-Atmungsübungen kann man sehr gut - ohne mentales Geschwafel und psychologischen "Tricks" - so lange trainieren, dass es auch in großen Stresssituationen keine Einbrüche der Atmung gibt (was ja bei Verkrampfung der Fall ist).
Natürlich können flankierend in einigen Fällen auch mentale Techniken helfen, Angstblockaden zu lösen (Yoga, Entspannungstechniken, seit Neuestens im Gespräch auch Meridian-Energie-Technik). Aber zunächst sollte mMn geschaut werden, ob der Körper intuitiv richtig funktioniert. Falls nicht, so muss man der Intuition eben auf die Sprünge helfen. Ist dieses Problem nach maximal einem Jahr weitgehend beseitigt, so muss man wiederum schauen, ob auch psychische Probleme damit reduziert worden sind bzw. ob weitergehende Maßnahmen auf psychischer Ebene notwendig erscheinen.
Für viele meiner Schüler kann ich sagen: Den Körper so weit zu automatisieren reichte, dass sich auch psychische Anspannungen lösten. Das wiederholte Erleben, dass der Körper funktioniert, genügt meist, Lampenfieber einhergehend mit Verkrampfung zu verlernen. Es folgt dann nur noch der Spaß am Musizieren. Allerdings möchte ich nicht verallgemeinert behaupten, dass durch die Arbeit am Körper alle psychischen Probleme lösbar sind. Damit zurück zum Anfang: Du hattest den Mut zur Aufnahmeprüfung! Du hast dich dieser Prüfung gestellt und sie bestanden. Sicherlich hast du auch schon oft Konzerte gespielt?! Wer das meistert - so nehme ich zumindest an - wird in den seltensten Fällen an tieferliegenden behandlungsbedürftigen psychischen Problemen leiden. Genaueres kannst du nur für dich selbst beantworten bzw. Jemand, der dich besser kennt als ich oder andere Forumsteilnehmer.
Kopf hoch! Ich kenne sehr viele Kollegen/Schüler, die solche Probleme bewältigt haben, und sehr erfolgreich als Berufmusiker arbeiten.
Hannes